Tu was! Kurze Anleitung zur Verteidigung der Demokratie von Ruprecht Polenz
C.H. Beck Verlag, 2. Auflage 2025, 108 Seiten
In einer Zeit, in der demokratische Werte zunehmend in Frage gestellt werden, präsentiert Ruprecht Polenz mit Tu was! einen kämpferischen Appell an die Zivilgesellschaft. Der ehemalige CDU-Außenpolitiker und heutige Social-Media-Aktivist hat ein schmales, aber wirkungsvolles Buch verfasst, das bereits die dritte Auflage erreicht und auf der Spiegel-Bestsellerliste stand – ein deutliches Zeichen dafür, dass seine Botschaft auf fruchtbaren Boden fällt.
Ein erfahrener Praktiker spricht
Polenz bringt beeindruckende Referenzen mit: Knapp zwei Jahrzehnte im Bundestag, davon Jahre als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Seit seinem Rückzug aus der aktiven Politik hat er sich zu einem der einflussreichsten politischen Stimmen in den sozialen Medien entwickelt, wo ihm über 100.000 Menschen folgen. Diese Kombination aus politischer Erfahrung und digitaler Reichweite verleiht seinen Argumenten besondere Glaubwürdigkeit.
Struktur und Kernargumente
Das Buch folgt einem klaren dreistufigen Aufbau:
Demokratie verstehen: Polenz erinnert daran, dass echte Demokratie weit über das reine Mehrheitsprinzip hinausgeht. Erst die Verbindung von Grundrechten, Rechtsstaatlichkeit, regelmäßigem Machtwechsel und institutioneller Kontrolle macht aus Wahlen mehr als bloße Rituale.
Gefahren erkennen: Der Autor analysiert systematisch die Bedrohungen für demokratische Systeme – vom permanenten Krisenmodus über den Vertrauensverlust in Institutionen bis hin zu gezielten Desinformationskampagnen und populistischen Strategien, insbesondere der AfD.
Handeln lernen: Zwölf konkrete Handlungsfelder werden vorgestellt, die von alltäglicher Zivilcourage über Medienbeiträge bis zur Parteimitgliedschaft reichen. Dabei betont Polenz: Jeder Beitrag zählt, selbst ein einzelner „Like“ kann Wirkung entfalten.
Zeitdiagnose mit Tiefgang
Polenz‘ Gesellschaftsanalyse ist sowohl scharf als auch differenziert. Er beschreibt, wie multiple Krisen – von Kriegen über Klimawandel bis Migration – eine Art „geistigen Nebel“ erzeugen, den Populisten geschickt für ihre Zwecke nutzen. Besonders treffend ist seine Beobachtung, wie Extremisten demokratische Freiheitsrechte als Werkzeuge missbrauchen, um eben diese Rechte letztendlich abzuschaffen. Diese Einschätzung deckt sich mit aktueller Forschung zur Demokratieresilienz und berücksichtigt insbesondere die Rolle digitaler Hassrhettorik.
Was das Buch auszeichnet
Praxisorientierung: Während viele Demokratie-Analysen bei der Theorie stehenbleiben, liefert Polenz handfeste Werkzeuge für den Alltag. Die Bandbreite reicht vom Widerspruch gegen Alltagsrassismus bis zur Organisation lokaler Bürgerinitiativen.
Zugänglichkeit: Auf nur 108 Seiten und in verständlicher Sprache vermittelt der Autor seine zentrale Botschaft: Demokratie ist niemals selbstverständlich und benötigt aktive Verteidiger. Diese Einsicht prägt sich nachhaltig ein.
Optimismus statt Panik: Obwohl Polenz die Bedrohungslage realistisch darstellt, verfällt er nicht in Untergangsstimmung. Sein Vertrauen darauf, dass „Respekt und Anstand für die Mehrheit der Bürger handlungsleitend bleiben“, wirkt motivierend und ansteckend.
Für das Gegenwärtige geschrieben
Die Bundestagswahl 2025 findet in einem gesellschaftlichen Klima statt, das von den Massenprotesten gegen rechtsextreme „Remigrations“-Pläne geprägt ist. Polenz greift diese Dynamik auf und argumentiert überzeugend, dass die oft zitierte „schweigende Mehrheit“ ihre Stimme erheben muss. Seine Analyse der enormen AfD-Reichweite in sozialen Netzwerken mündet in die Forderung, digitale Räume nicht den Demokratiefeinden zu überlassen.
Damit reiht sich das Werk in eine Tradition von Handlungsanleitungen ein, die von Timothy Snyders Über Tyrannei bis Stéphane Hessels Empört euch! reicht – jedoch mit spezifisch deutschem Fokus und der Erfahrung eines Politikpraktikers.
Konstruktive Kritikpunkte
Auch wohlwollende Rezensenten merken an, dass Polenz‘ Social-Media-Beispiele primär die Generation „50+“ ansprechen und jüngere Zielgruppen stärker berücksichtigt werden könnten. Zudem bleibt sein Appell zum Parteieintritt teilweise unkonkret – hier hätten spezifische Hinweise zu neuen Beteiligungsformen in Parteien den praktischen Nutzen erhöht. Diese Aspekte mindern jedoch nicht den Gesamtwert des Buches, sondern zeigen Potenzial für künftige Erweiterungen auf.
Tu was! ist kein akademisches Traktat, sondern ein kompakter Handlungsleitfaden für alle, die demokratische Werte verteidigen möchten. Das Buch überzeugt durch die Verbindung von fundierter Analyse, praktischer Erfahrung und pragmatischem Optimismus. Polenz‘ parteiübergreifender Ansatz macht seine Argumentation von der Zivilgesellschaft bis in staatliche Institutionen hinein anschlussfähig.
Angesichts der anstehenden politischen Herausforderungen ist das Buch ein notwendiger Weckruf: Demokratie funktioniert nur durch aktive Teilhabe, nicht als Zuschauersport. Wer Freiheit und Rechtsstaat erhalten will, muss bereit sein zu verstehen, zu handeln und – wie der Titel sagt – etwas zu tun.