Der britische Politikwissenschaftler und Soziologe Colin Crouch hat sich mit einem neuen Titel zurückgemeldet– im Fokus ist diesmal die klassische Sozialdemokratie, die es als „revolutionäres Subjekt“ wiederzubeleben gilt. Sein Plädoyer beginnt mit den Worten: „Die europäische Sozialdemokratie muss aus ihrer defensiven Haltung, in der sie nun schon seit Jahren vor sich hin dümpelt, wachgerüttelt werden“(21). In Form eines Zwischenfazits zu Beginn des 6. Kapitels unterstreicht er dieses von ihm gesehene Potential noch einmal: „Der wichtigste Schluss, den wir aus dem vorrangegangen Kapitel ziehen können ist, dass die durchsetzungsfähige Sozialdemokratie kein Traum, keine vage Vision, sondern greifbare Realität, eine tatsächliche Errungenschaft, vornehmlich in einen kleinen aber bedeutenden Teil der Welt: in Nordwesteuropa“ (135). Den Niedergang der Sozialdemokratie macht er am Verhältnis zum Neoliberalismus fest – ein Niedergang, der sich letztendlich in der Politik von „New Labour“ widerspiegelt.
Anknüpfend an die beiden vorhergehenden Texte „Postdemokratie“ (Suhrkamp Verlag, 2008) und „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“ (Suhrkamp Verlag, 2012), von denen zumindest ersterer in der deutschsprachigen Disziplin sehr intensiv diskutiert wurde, hält er nun mit „Jenseits des Neoliberalismus“ ein „Plädoyer für soziale Gerechtigkeit“ und eine sich wieder offensiver gebende Sozialdemokratie. Die Bedeutung der „sozialen Gerechtigkeit“ in Bezug auf die Demokratie erläutert er bereits in der Einleitung seiner Untersuchung; „Ein Plädoyer für soziale Gerechtigkeit ist nicht nur eine Frage der Verteilung des Einkommens und der Güter, sondern auch eine Macht, also eine Frage der Demokratie“ (14f). Den Begriff des Neoliberalismus hatte er ja bereits in „Postdemokratie“ näher definiert. Es geht also um Reformen in Marktwirtschaft. Zum Abschluss seines Buches schreibt er: „Neben den Grünen sind sie die einzige politische Bewegung, die darauf spezialisiert ist, den Kapitalismus gesellschaftsfähiger zu machen, besonders in Hinblick auf soziale Gerechtigkeit“ (201).
Ein grosser Teil seiner Untersuchung widmet sich dem Verhältnis der Sozialdemokratie zu den drei dominierenden, von ihm unterschiedenen Formen des Neoliberalismus. Er schlägt vor, dass die Sozialdemokratie zu den drei Formen unterschiedliche Beziehungen pflegen sollte. Diese drei Formen, die er nicht näher mit eigenständigen Bezeichnungen belegt, unterscheiden sich bezüglich des Verhältnisses zu Markt und Staat (vgl. 43f.). Diesen Überlegungen liegt die Annahme zugrunde, dass die europäische Sozialdemokratie bereits von Elementen des Neoliberalismus durchzogen ist bzw. in einer defensiven Position gefangen ist. Den Begriff der Sozialdemokratie – den er „im herkömmlich modernen Sinne“ verstanden wissen will (vgl. 22) – reduziert er nicht auf sozialdemokratische Parteien, sondern subsummiert hierrunter generell Akteure des sozialdemokratischen Denkens wie z.B. Gewerkschaften oder andere soziale Bewegungen.
Eingerahmt sind seine Analysen in die internationale (Wirtschafts-)Politik untersucht er in neun Kapiteln die Sozialdemokratie und ihre politische Haltung, die er wiederholt als defensiv tituliert, um für die kämpferische Sozialdemokratie zu plädieren. Manch einer seiner Vorschläge für die Wiederbelebung der Sozialdemokratie klingt etwas naiv. „Ein grosser Teil des Prozesses, die Sozialdemokratie neu zu beleben, besteht schlichtweg darin, die Aufmerksamkeit auf diese Alternativen zu lenken“ (156). Bei seinen Beispielen greift er auch wiederholt auf deutschsprachige Entwicklungen zurück – wie z.B. die Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie seit dem bekannten Parteitag von Bad Godesberg oder der neoliberalen Politik der Treuhand Gesellschaft.
Wie auch seine vorherigen Werke besticht auch dieser Text durch sehr gutes Faktenwissen und fundierte Analysen. Crouch ist ein fraglos ein guter Wissenschaftler, der sein Genre versteht. Allerdings erscheint mir sein Plädoyer für die Erneuerung der Sozialdemokratie verfehlt zu sein. Der Versuch durch eine Stärkung der Sozialdemokratie als ausgleichende Kraft zur Regulierung des Kapitalismus in seiner Ausformung des sogenannten Neoliberalismus zu schaffen, erscheint mir politisch naiv zu sein.
Colin Crouch: Jenseits des Neoliberalismus. Ein Plädoyer für soziale Gerechtigkeit, Passagen Verlag Wien 2013, ISBN: 9783709200674, 236 S., Preis: 19,90 Euro.
Maurice Schuhmann