Peter H. E. Gogolin
„Die unerzählbare Geschichte … kein Roman“
Kulturmaschinen Verlag, 2025

 

Ein Buch über das Unsagbare, das nicht erst in den letzten Lebenstagen der Mutter Wort werden will. Ein Sterbeprotokoll, ein Trauerbuch, in dem der Autor versucht herauszufinden, welche prägenden Erfahrungen sich im Leben seiner Eltern und damit auf ihn und seine Geschwister auswirkten.

Wie tief müssen Verletzungen sitzen, wenn ein Mensch am Ende des Lebens, in geistigem Dämmern Verbrechen andeutet, die an ihm begangen worden sind. Die verwitwete Mutter scheint in Zungen zu sprechen. Von welchem Lager, welcher Vergewaltigung redet sie da, von welcher ein Beil nach ihr schleudernden Großmutter? Was hat das mit dem Sohn, dem Autor des Werkes, und seinen Geschwistern zu tun? Alters- oder Medikamentendelirium? Was sonst. Oder verweisen sie auf die Geschichten, die Mutter ihrem Ältesten auf dem Dachboden erzählte, mit der oft wiederholten Drohung, sich das Leben zu nehmen? Warum? Kann denn wahr sein, was nicht wahr sein darf?

Und dieser schweigsame Vater, schon länger verstorben, der nicht nur desinteressiert, sondern geradezu gefühllos wirkte, einer, der den Selbstmord seiner Schwester als Jugendlicher miterlebte, mit siebzehn eingezogen und in Kriegsgefangenschaft gehalten wurde. Kann es sein, dass für jemanden, der dies miterlebt hat, Worte und das, was sie ausdrücken sollen, untauglich geworden sind? Den die Selbstmorddrohungen seiner Frau unberührt lassen? Was wurde da abgetötet? Wer war dieser Mann, der dem Autor unähnlich sah, woher dieser Name, Gogolin, aus Polen, ja, und er findet sich in den Archiven von Jad Vashem, Jerusalem, sogar einer mit Vornamen Edmund, auch wenn es nicht der Vater sein konnte. Wer soll den Wortlosen glauben? Schützt die Täter doch nichts mehr als Schweigen und Unglauben.

Dieses Buch ist nicht nur eine Art Tagebuch des Sterbens der Mutter und der Suche nach dem Vater, fragt der Autor doch auch nach den Traumata, die sich in den Nachkommen auswirken, verwebt Tagebuchblätter mit Gedichten, veröffentlichten und unveröffentlichten Texten, in denen er sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat, darüber hinaus ist das Werk eine poetologische Studie über die Art und Weise, wie Trauerarbeit sprachlich zu bewältigen ist: mit einem allwissenden Autor, der Situationen ausspinnen, erfinden, frei montieren kann, oder mit Hilfe eines Ich-Erzählers, der sich um Distanz bemühen und Lücken lassen muss, wo Zusammenhänge fehlen? Peter H.E. Gogolin hat sich für Letzteren entschieden, lässt den Leser an Recherchen, an schmerzlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozessen teilnehmen, deren Eindringlichkeit man sich kaum entziehen kann.

Peter H. Gogolin, Die unerzählbare Geschichte … kein Roman, Kulturmaschinen Verlag

Ralph Roger Glöckler