Sozialdemokratisch – und entschieden gegen Realitätsverweigerung
Ich bin Sozialdemokrat – das dürfte den meisten, die meine Beiträge lesen, bekannt sein. 1973 bin ich in die SPD eingetreten. Vor der Jahrhundertwende jedoch habe ich sie verlassen – aus Protest gegen den Lafontaine-Engholm-Coup gegen den Bundesvorstand und die Petersberger Beschlüsse. Zwischenzeitlich war ich Mitglied der LINKEN. Nach dem völkerrechtswidrigen Überfall des inzwischen offen faschistischen Russland auf die Ukraine bin ich wieder in die SPD zurückgekehrt.
Es überrascht also nicht, dass ich das heute von den Genossen Mützenich und Stegner vorgelegte sogenannte „Friedenspapier“ entschieden ablehne. Es ist ein illusionsgetränktes, realitätsfernes Papier, das aus grundlegenden analytischen und strategischen Mängeln niemals Teil sozialdemokratischer Politik werden darf – und wohl auch nicht wird.
Historische Fehleinschätzung mit gefährlichen Konsequenzen
Im Papier offenbart sich eine verklärte Sichtweise: Die Verfasser:innen suggerieren eine historische Kontinuität zwischen der Sowjetunion und dem heutigen Russland. Das ist nicht nur historisch falsch, sondern eine gefährliche Halluzination. Auch wenn autoritäre Herrschaft beide Regime verbindet, unterscheidet sich Putins Russland grundlegend im Wesen, in der politischen Strategie und im außenpolitischen Wollen von der Sowjetunion.
Putins Alleinherrschaft folgt dem Führerprinzip. Seine Außenpolitik orientiert sich auffällig an den Expansionsstrategien des nationalsozialistischen Deutschlands – nicht an den pragmatischen, wenn auch ideologisch motivierten Positionen der späten KPdSU. Wer aus Putins Rückgriff auf Stalin eine politische Linie zieht, verkennt, dass diese Linie nicht bis zu Chruschtschow, Breschnew oder gar Gorbatschow reicht. Es ist keine Kontinuität – es ist ein Rückfall.
Friedenssehnsucht ersetzt keine Sicherheitsstrategie
Dass Genoss:innen, denen man eigentlich Nüchternheit, Pragmatismus und Verantwortung zutrauen dürfte, ein solches Papier verfassen, ist mir unverständlich. Wer glaubt, mit einer offen faschistischen, kriegführenden Großmacht könne man mittel- oder langfristig tragfähige Friedensvereinbarungen erzielen, irrt – und gefährdet die Zukunft Europas. Putin selbst hat in seiner einstündigen Rede nach dem Überfall auf die Ukraine unmissverständlich erklärt, was er will: die Wiedererrichtung des Zarenreichs in seiner größten Ausdehnung, eine hegemoniale Stellung in Europa, Schwächung der NATO und die Rückkehr zu überkommenen, autoritären „Werten“.
Die Zeit ist nicht für Beschwichtigung – sie ist für Wehrhaftigkeit
Jetzt ist nicht die Zeit für politische Träumereien. Jetzt ist die Zeit, unsere Freiheit zu sichern. Das erfordert den entschlossenen Ausbau der europäischen Verteidigungsfähigkeit – notfalls auch ohne die USA. Mit den 500 Milliarden Euro, die Deutschland bislang plant, ist das nicht zu stemmen. Europa braucht mindestens 1.000 Milliarden zusätzlich, um eine glaubhafte Vorwärtsverteidigung zu etablieren.
Diese Verteidigungsausgaben müssen mit einer demokratischen Absicherung der EU einhergehen – gegen Regierungen, die Brüssel blockieren und die europäische Einigkeit sabotieren, wie in Ungarn oder der Slowakei. Die Finanzierung über Kreditaufnahme mag kurzfristig die Inflation leicht anheizen, wird aber mittelfristig zur wirtschaftlichen Stärkung beitragen. Es war schon immer eine ökonomische Fehleinschätzung zu glauben, Rüstungsausgaben hätten keine positiven volkswirtschaftlichen Effekte. Entscheidend ist ihr Maß – und die strategische Einbettung.
Die Freiheit will – und muss – verteidigt werden
Die Freiheit Europas steht auf dem Spiel. Sie will verteidigt werden. Sie muss verteidigt werden. Und es darf nicht sein, dass ausgerechnet demokratische Parteien – allen voran die Sozialdemokratie – sich einem Appeasement anschließen, das in letzter Konsequenz immer in Unterwerfung und Schwäche endet.
Sozialdemokratische Politik darf nicht zum Steigbügelhalter der neuen Faschismen werden – sondern muss ihr entschlossenes Gegenüber bleiben.