In den vierzehn Tagen seit Silvester hat sich das schlechte, das rückwärtsgewandte, das auf das völkische ausgerichtete Deutschland in einer unerträglichen Art und Stärke manifestiert.
Kleinbürgerwehren und ehemalige Gymnasiallehrer, Richter außer Dienst und allerlei Politiker schüren den Brand, der nunmehr in der Tat Gefahr läuft, das demokratische Haus vergehen zu lassen.
Wären es die ewig gestrigen, die Kinder jener, die den Bundeskanzler Willy Brand aufhängen wollten, wegen der Ostverträge, wären es jene Nachkommen deutscher Revanchisten, die besoffen von Bier und Germanenherrlichkeit durch Straßen marschieren und dabei laut aber in falschem Deutsch die deutsche Kultur beschwören: Es wäre ärgerlich und nichts als ein Fall für Strafverfolgungsbehörden und amtlich bestellte Betreuer.
Aber es geht darüber hinaus, weit hinaus. Da wird nicht mehr mit der Nationalzeitung gewedelt, um das Feuer anzufachen, da haben manche den Blasebalg der kollektiven Vervolkung mitgebracht.
In den demokratischen Parteien – um die anderen braucht man sich nicht weiter zu kümmern, weil die Sache ja eh klar ist – tut sich ein Graben auf. Personen und Positionen wechseln Standort und Bezugspunkt. Was gestern noch als sichere Erkenntnis galt, gilt heute nicht mehr.
Da wird vom Verwirken des Gastrechtes in der Linkspartei ebenso gefaselt, wie in der CSU. Da marschieren Kreisvorstandsmitglieder aus den demokratischen Parteien auf den Pegida-Demonstrationen mit. Da fraternisieren hochrangige Politiker in Linken mit dem Gedanken der Obergrenze.
Was da als ein Thema erscheint, als das Flüchtlingsthema erscheint, ist allerdings mehr als das. Es ist das Thema unserer Freiheitsrechte. Es ist die Frage, wer da mit wem die Tanzpaare bildet und welche Musik gespielt wird. Da liegen sich jene in den Armen, die in der Tat glauben, man könne den Wohlstand dieses Landes auf der Grundlage von Abgeschlossenheit und Grenzrestriktion mehren; da liegen sich jene in den Armen, die schon immer gegen die Europäische Union und den Euro waren, da tanz die miteinander, die glauben, in Putin so etwas wie den Widerpart der dunklen US-amerikanischen Gruselmacht zu erblicken, die sie mit traurigen Wahrheiten zwar, aber dennoch entrückt von jeder ordentlichen politischen Analyse selbst herbei halluzinieren.
Die Europäische Union braucht viele, sehr viele, Reformen – und ich benutze das Wort nicht in dem heute gebräuchlichen euphemistischen Sinne für Deformation –, die EU braucht viele Reformen, um eine demokratisch verfasste eigene Nation der Regionen zu werden. Aber sie ist es, die einwirken kann auf Ungarn und Polen – und es auch tut.
Wir erleben in diesen Tagen eine Verschiebung der politischen Pole. Die allerdings hat nicht erst Silvester begonnen. Nein, es gibt sie schon länger. Sie ist bei den einen aus einer Art Ostblocknostalgie entstanden, die nicht wahrhaben will, dass mit Russland nichts anderes entstanden ist, als ein aufstrebendes kapitalistisches Imperium, welches so handelt, wie Staaten eben handeln, die Einfluss auf das Weltgeschehen nehmen wollen.
Auf der ehedem anderen politischen Seite, befinden sich die, welche sich vom Zusammengehen mit Russland eine Stärkung der nationalen Macht Deutschlands versprechen, und die damit eine zentraleuropäische Großmachtsstrategie verknüpfen.
Sie treffen sich mit denen, die immer schon gegen die USA waren, und zwar nicht berechtigten Einzelfragen, sondern im Grundsatz, als Element einer antiamerikanischen Agenda, was etwas völlig anderes ist, als die Gegnerschaft gegen die benennbaren Völkerrechtsverletzungen und so weiter, die die USA ebenso begeht, wie Russland, China oder europäische Mächte.
Zum Glück aber gibt es in allen demokratischen Parteien Kräfte, die sich auf die revolutionären Errungenschaften des Bürgertums berufen. Auf Pressefreiheit und Koalitionsfreiheit, auf Brüderlichkeit, also Solidarität, und Humanismus, auf Religionsfreiheit und Redefreiheit. Auf all jene Freiheitsrechte, die es nun zu verteidigen gilt.
Jene nämlich, die fordern, die Grenzen wieder zu schließen, die gar fordern, Syrier nach Syrien zurück zu schicken, die lamentieren über Smartphone und die Jugendlichkeit der überwiegend männlichen Einzelflüchtlinge, die sich die Wirklichkeit zurechtlügen, wie es ihrer nationalistischen Seele frommt, gefährden unsere Freiheit. Ihnen ist das Fremde fremd. Alles Fremde. Heute der flüchtende Syrier, Iraker, Afghane. Morgen wieder der Jude oder der Slawe. Fremdenhass, auch dann, wenn er mit Besorgtheit und den üblichen Sprechblasen von Politikern kaschiert wird, gefährdet immer die bürgerliche Freiheiten. Denn den Humanismus abschneiden, das Brüderliche abschneiden kann man nicht, ohne dass der Patient verblutet.
Die, welche mit dem Lügengeschwätz von der Lügenpresse hausieren gehen, die, welche ihre Meinung unterdrückt sehen, wenn sie Kritik aushalten müssen, die welche trotz der vielen Moslems die seit Jahrzehnten in diesem Land leben den Islam als nicht zu Deutschland gehörend empfinden, gefährden diese Rechte.
Wenn sie von Meinungsfreiheit sprechen, meinen sie ihre Meinung. Wenn die von Lügenpresse reden, fordern sie eigentlich die Gleichschaltung der Presse in ihrem Sinne. Wenn die da von Freiheit reden, meinen sie die Freiheit der Nation, die Freiheit des Volkskörpers und die Pflicht des Individuums mit zu tun an jedem völkischen Unsinn, an jeder nationalen Besoffenheit.
Da marschiert das schlechte Deutschland durch die Straßen von Dresden, da randaliert das schlechte Deutschland in Leipzig. Da ist jedes angesteckte Flüchtlingsheim auch der Probelauf für den Fackelaufmarsch zum Pogrom. Das sind die Meister aus Deutschland, die da marschieren. Die Lehrer, denen Ernst Moritz Arndt immer schon eher am Herzen lag, als Bert Brecht, die Professoren die den Muff unter den Talaren vermissen. Da marschieren die, die heimlich zu ihrem Herrgott flehen doch wieder Eisen wachsen zu lassen und die die Waffe schon in der Rechten spüren. Sie empfinden Humanismus als Diktatur der Gutmenschen und phantasieren vom Volkstod, dabei waren es ihre nicht allzu weitläufigen Verwandten, die so vielen Völkern den Tod brachten.
Ihnen muss überwältigender Widerstand entgegengesetzt werden. Sie dürfen nicht nur nicht die Oberhand gewinnen, man muss sie gesellschaftlich marginalisieren und ausgrenzen.
Das gilt nicht nur für die Marschierer von Pegida und Konsorten, für die Mitglieder von AfD und NPD. Es gilt aber auch für die, die sich anschicken, in den demokratischen Parteien, in den Fraktionen des Bundestags einen Richtungswechsel vorzunehmen. Es gilt für grüne Bürgermeister und christsoziale Räte, für sozialdemokratische Vorsitzende und linke Fraktionsspitzen.
Es gibt in diesem Land viele besten Wortsinne wertkonservative Menschen. Menschen also, die die Freiheitsrechte, die die Grundrechte bewahren, ja ausbauen wollen. Es wird viele Fragen geben, bei denen auch zwischen diesen aufrechten Demokraten Dissens herrscht. Kein Dissens aber scheint mir zu herrschen bei den Grundfragen von individuelle Freiheit und gesellschaftlicher Solidarität.
In Hamburg gibt es die Patriotische Gesellschaft, die eigentlich Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe heißt und 1765 von Kaufleuten und Gelehrten in Hamburg errichtet wurde. Sie kann ein Vorbild sein. Denn wir brauchen die Schulterschluss, vielleicht auch in organisierter Form und über die Parteigrenzen hinaus derer, die bereit sind energisch und robust die bürgerlichen Freiheit vor denen zu verteidigen, die sich ihrer bedienen um sie abschaffen zu können. Wir brauchen Gemeinsinn und Solidarität statt Chauvinismus und völkischem Gedankengut.
Gemeinsam sollten wir überlegen ob nicht die Zeit gekommen ist, eine europäische Gesellschaft zu gründen, die sich den Idealen verpflichtet fühlt, die auch die Patriotische Gesellschaft in Hamburg erheblich geprägt haben. Nämlich: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
(Unkorrigierte Lesefassung)