Entlarvung des « edlen Nazis » Albert Speer

 

Der deutsche Architekt und stramme Nationalsozialist Albert Speer (1905-1981) schaffte es gleich zweimal, eine Karriere in seiner Heimat zu machen. Die erste führte den aufstrebenden

Albert Speer von Magnus Brechtken

Architekten, der bereits 1930 in die NSDAP eintrat, bis in den inneren Kreis rund um Adolph Hitler, der ihn u.a. mit der architektonischen Konstruktion von der zukünftigen Reichshauptstadt Germania beauftragte. Die zweite machte ihn zum reuevollen Nationalsozialisten und einer Identifikationsfigur für die „verführten Deutschen“, die genau wie er von sich behaupteten, vom Massenmord an den Juden nichts gewusst zu haben. So gut wie er seine Rolle spielte, hätte er es in einer dritten Karriere vielleicht auch zu einem bedeutungsvollen Schauspieler gebracht. Sein verlogenes Narrativ über sich und seine Position im Nationalsozialismus haben die Nachkriegszeit sowie die Wahrnehmung des Nationalsozialismus mitgeprägt.

 

Speer ist somit mehr als „nur“ ein nationalsozialistischer Politiker mit engem Kontakt zu Hitler, der Dank seines Vermögens als Blender und mit sehr viel Glück, bei den Nürnberger Kriegsverbrechertribunalen nicht zum Tode verurteilt wurde, sondern mit 20 Jahren Gefängnis davonkam. Er ist ein Bestsellerautor in Deutschland gewesen, der nach seiner Haftentlassung seinen Lebensabend in Wohlstand verbrachte. Seine Gefängnistagebücher erreichten eine sagenhafte Auflage – und trotz aller offensichtlichen Widersprüchen, auf die bislang in Auseinandersetzungen mit ihm meist nur am Rande eingegangen wurde, fehlte es weitgehend an kritischen Auseinandersetzungen mit ihm – allerdings nicht nur in Deutschland.

 

Magnus Brechtken, stellvertretender Direktor am Münchener Institut für Zeitgeschichte, hat nun die Biographie und Karriere von Albert Speer von seinen Lügen und Mystifizierungen befreit und stellt ein anderes Bild jenes Mannes dar, das nur noch wenig mit jenem zu tun hat, was man aus den Spandauer Tagebüchern kennt. Er zeigt das wahre Gesicht jenes Karrieristen. Es ist aber mehr als nur eine Korrektur der Biographie, es ist auch eine (unterschwellige) Medienschelte und eine Aufarbeitung der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Medien – darunter auch Leitmedien wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel oder die Zeit haben schließlich den Bluff von Albert Speer in Artikeln untermauert und ihm ein Fundament zur Stilisierung als „Opfer“ oder gar „Widerstandskämpfer“ gesichert.

 

Brechtken resümiert im Epilog seiner umfangreichen und sehr fundierten Studie: „Albert Speers Leben und Karriere bieten das wohl prominenteste Beispiel eines prägenden Teils der deutschen Gesellschaft im zwanzigsten Jahrhundert. Sein Werdegang – hinein in die nationalsozialistische Bewegung bis 1933, als engagierter Nationalsozialist bis 1945, schließlich als Distanzierungs-Erzähler nach der Niederlage – steht exemplarisch für die deutschen Funktionseliten, aber auch für die vielen anderen, die den Nationalsozialismus vorantrieben und mitprägten, nach dessen Scheitern mit ihm jedoch ‘eigentlich’ nichts zu tun gehabt haben wollten. » (S. 577).

 

 

Eine sehr lesenswerte, wenn auch streckenweise etwas langatmige Lektüre. Die Entlarvung des Mythos Speer ist auch ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte in Deutschland.

 

Maurice Schuhmann

 

Magnus Brechtken: Albert Speer. Eine deutsche Karriere, Siedler Verlag München 2017, ISBN: 978-3-8275-0040-3, 912 S. Preis: 40 €, Ebook: 32,99 €