Heinrich von der Haar: „Mein Himmel brennt“
Roman, Kulturmaschinenverlag Berlin, 2013
Ein Bauernsohn aus dem tiefkatholischem, man möchte gerne schreiben, aus dem brutalkatholischem Münsterland erlebt die Brutalität des eigenen Vaters, der Umwelt, der Schulkameraden, der Nachbarn – es gibt eigentlich niemand in diesem Kaff, der nicht bis zum obersten Kragenknopf voll mit Brutalität ist. 10 Geschwister kommen im Laufe des Romans auf die Welt, sind schon vor dem Ich-Erzähler da. Kein eigenes Bett, keine eigenen Spielsachen, aber dafür Arbeit und Prügel, eingesperrt werden. Strafen und Arbeit machen das Leben des Kindes aus. Wenige lichte Augenblicke wo der doofe Heini spielen darf, die Welt entdecken, ja Kind sein kann. Augenblicke, denn umgehend brüllt der Vater „Schweine füttern“ oder andere Arbeiten anordnet. Schule? Mit Einschränkungen, denn die Arbeit am Hof ist wichtiger. Noch wichtiger ist der regelmäßige Gang zur Kirche. Nun beginnt der doofe Heini ein wenig ein eigenes Leben, er wird Messdiener, bereitet sich auf die Erstkommunion vor, erlebt die niederträchtige Welt eines Dorfes nun auch abseits vom heimatlichen Hof. Mit Mühe schafft er acht Klassen Volksschule, gibt nicht auf, besucht Kurse in der Nachbarstadt, die Arbeit wird deswegen nicht weniger, der Vater, die Umwelt nicht weniger brutal. Eintritt in eine Jugendgruppe, Besäufnisse, Vergewaltigung durch einen homosexuellen Jugendleiter, Entdeckung des Zaubers der ersten Liebe, die sofort wieder mit Brutalität vergolten wird. Endlich, die Erlösung? Die Aufnahme in das Kolleg der Kirche in Münster ist geschafft. Doch der Vater unterschreibt für den Minderjährigen nicht, die Arbeit am Hof geht vor. Bis der Himmel brennt: Der Hof brennt, er rettet seinen Vater aus dem brennenden Gebäude. Doch es gelingt dem Heini doch noch, der Falle zu entkommen, er wird im Kolleg aufgenommen, beginnt seine Ausbildung. Doch nur unter der Bedingung, dass er nach dem Abi das Priesterstudium beginnt.
Damit endet der Roman, der auf mehrere Teile angelegt ist. Der Band II „Der Idealist“ liegt bereits vor und die Besprechung folgt demnächst.
Der Autor Heinrich von der Haar ist unschwer als der Junge aus dem Dorf zu erkennen. Geb. 1948 im Münsterland, stimmen die Beschreibungen der Familienverhältnisse, der Dorfgeschichten sicher auch mit der persönlichen
Biografie des Autors überein. Der Autor erreicht nach Volksschule, Banklehre, Handelsschule das Abitur. Anschließend studierte er in Augsburg und Berlin. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen u. a. zum Thema Kinderarbeit.
Das Buch steht in einer langen Reihe der Geschichten aus dem Dorfe. Als österreichischer Leser und Rezensent fällt natürlich Franz Innerhofer ein, dessen Roman „Schöne Tage“ (1976 erschienen), sowie „Schattseite“ (1979) aus dem gleichen Milieu stammen. Aber damit ja nicht genug, diese Geschichten gibt es also nicht nur in den alpinen Kernregionen der österr. Bundesländer, es gibt sie auch im flachen Land, in NRW, und überall, wo Bauern mit allen (wirklich mit allen) Mitteln ums Überleben kämpften, kämpfen. Auch die Emanzipation vom brutalen, übermächtigen Vater ist kein Alleinstellungsmerkmal irgendwelcher alpiner Regionen, die dörfliche Enge, die Bigotterie der weiblichen unverheirateten (und daher unversorgten) Verwandten, die Durchdringung aller Lebensbereiche mit kirchlichen Vorschriften, all das kennt man als Leser hinlänglich. Also noch ein Roman dieses Genres, könnte man abschätzig einwenden. Doch glaube ich, so einfach darf man es sich nicht machen. Heinrich von der Haar hat sich auch als wissenschaftlicher Autor den Duktus des Dorfjungen erhalten. Seine Sprache ist die des Dorfes im Münsterland – vielleicht mit den Einsprengseln im Platt für den alpinen Leser etwas exotisch angehaucht – sie ist authentisch. Ja, der Autor beherrscht „seine“ Sprache, es ist schwer, das Buch z. B. um 2h früh wegzulegen, ich musste noch einige Kapitel weiter lesen. Obwohl – siehe oben: Das Sujet ja bekannt ist, oft gelesen, immer wieder erzählt bekommen, versteht es der Autor zu fesseln.
Wer bisher dachte, Brutalität am Lande, Kinderarbeit, Bigotterie und was weiß ich noch alles, komme nur in den abgeschiedenen alpinen Seitentälern vor, sollte zu dem Buch greifen. Es ist keine angenehme Lektüre für den Feierabend, so mit einem Glas Wein daneben. Wer allerdings nach Innerhofer, Brigitte Schwaiger und unzähligen anderen Schriftstellern meint, diese Schilderungen in ihrer Realitätsnähe nicht mehr ertragen zu können, der lasse es besser bleiben. Er/sie wird bestimmt besser schlafen, wenn sie dieses Buch nicht gelesen haben!
Doch das ist kein Qualitätsurteil, eher das Gegenteil, es spricht für die Qualität des Buches, der Sprache, der Authentizität.
Heinrich von der Haar: Mein Himmel brennt (zum Buch)
Hans Bäck
Hans Bäck lebt in Österreich. Er ist aktives Mitglied des „Europaliteraturkreises Kapfenberg“ und gibt n.a. das Literaturmagazin „Reifeisen“ heraus. Von Hans Bäck erschien im Kulturmaschinenverlag das Buch „Lautsprecher in den Bäumen“.