DER ARME POET
– Minidrama von Jutta Schubert –
Ein Nachwuchsautor, der zu einem wichtigen Literaturwettbewerb eingeladen wurde, packt seinen Koffer.
Autor: Für die Fahrt etwas Bequemes. Diese langen Zugfahrten! – Die graue Cordhose vielleicht. Nein! Ich kann unmöglich in der grauen Cordhose in Klagenfurt ankommen. Was würde das für einen Eindruck machen! Angenommen, man holt mich ab. Empfangskomitee am Bahnhof…. Da sieht man ja sofort, dass ich aus der Provinz bin! ….. Ach, Unsinn, man wird mich ja nicht gleich abholen. Ich bin schließlich kein berühmter Autor. Noch nicht! NOCH! Aber wenn ich zurück bin … und den Preis gewonnen habe … Naja, man wird sehen ….
Eine größere Wohnung auf jeden Fall. Das Erdgeschoß einer Villa …. Blick in den Park, den Schreibtisch am Fenster …. Eiche! Oder nein. Lieber eine Glasplatte. Alles durchsichtig machen. Ein neuer Computer. Das erleichtert vieles. Selbst das Denken. Prospekte habe ich schon! Und dann eine Nebenwohnung. In Paris! Und eine auf Sylt. Inspiration des Meeres. Das ist als renommierter Autor das Mindeste. Autotelefon. Damit man mit den Verlagen in Verbindung ist. Interview in der FAZ. Dann die Wahl zum Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes …. So läuft das! Nur noch den Bachmannpreis und dann: Ab in die Vollen!
Wo ist jetzt der schwarze Anzug? zieht ihn unter einer Staubwolke hervor, klopft den Staub ab Sieht eigentlich noch ganz gut aus. Hab ich zuletzt bei meiner Konfirmation getragen. Vielleicht passt er gar nicht mehr …. Aber! In Klagenfurt legt man Wert auf das Konventionelle. Meine Texte sind da möglicherweise zu experimentell …. Also doch den Anzug! Als Gegengewicht, sozusagen ….
Ich darf nicht zu viel verraten und nicht zu wenig. Aber wenn ich lese, muss ich Eindruck machen. Das fängt bei der Frisur an. Selbstsicheres Auftreten. Ich weiß, was ich koste. Als bräuchte ich den Preis gar nicht! Genau. So muss es sein. Wirkung ist alles. Und in dem Anzug …. Wo ist er jetzt? Zum Kuckuck!
Eine deutliche Aussprache ist wichtig, wenn ich lese. Damit die Jury mich versteht. Zum Kuck-uck. Zum Ku-ckuck. ZUM KUCKUCK! Himmelherrgott – ach, da ist ja der Anzug! Das gute Stück. Trenchcoat? Nein, lieber nicht. Zu amerikanisch. Auf jeden Fall deutsch wirken. Ich bin ein deutscher Dichter! Vielleicht den Goethe mitnehmen. Er packt einen riesigen Backstein ein „Dichtung und Wahrheit“! Immer dabei haben und unauffällig auf den Tisch legen. Neben DIE ZEIT. Schließlich bin ich der Kandidat. Ich verdiene Aufmerksamkeit. Ich werde mich hüten, meine Meinung zu sagen. Man will nicht meine Meinung hören, sondern meinen Text! Vielleicht könnte ich ihn auswendig aufsagen. Das wäre gar nicht schlecht. Andererseits – das geschriebene Wort. …
Kühl bleiben. Ganz kühl. Von mir muss etwas Einsames ausgehen, etwasSchreckliches, völlig Verlorenes. Die Weltfremdheit des Künstlers. Wann geht mein Zug? Zwölfuhrachtzehn. Ich muss los! Habe ich alles? Zahnbürste, Haargel, Bücher für die Reise. Ach, der Goethe wird mir doch zu schwer. Wenn ich gut bin, brauche ich ihn nicht! Vielleicht eher ein Buch von Ingeborg Bachmann. Das kann nicht schaden. Was haben wir denn da …. Die gestundete Zeit. Sehr gut!
Um mich muss eine Aura sein. Oder ich errege Mitleid. Das wäre vielleicht noch besser. Dann lasse ich den Anzug doch lieber hier. Kein Goethe, kein Anzug! Der arme Poet! Also doch die Cordhose. Und Rasierklingen! Jetzt hab ich‘s! Kurz vor Klagenfurt schneide ich mir vorsichtig eine Pulsader auf. Das erregt bestimmt Aufsehen!
ENDE