Wieder Beklagensfurter Literaturtage. Und wieder diese Literatur aus den Weiten des Latte-macchiato-Universums, wo die Spezies der Saturierten lebt. Die Form als Inhalt, wie die leergetrunkenen Chianti-Bauchflaschen im Bastmantel, die durch die Fünfziger und Sechziger des vorigen Jahrhunderts hindurch die Wohnzimmer italienreisender Spießbürger mit dem Flair der großen weiten Welt versehen sollten und doch nichts anderes waren, als Staubfänger. Staubfängerliteratur also, bis auf wenige, sehr wenige – zu wenige – Ausnahmen.
Durch die Bank waren die Texte typische Klagenfurter Texte, also voll Langerweile, von jener scheinbaren Lockerheit, die sofort als Verkrampftheit erkennbar ist. Texte, bei denen es ganz offensichtlich nicht darum geht, literarisch zu sein, sondern einer Jury zu gefallen, die, Gnade vor Recht, aus Literaturkritikern besteht, welche sich, Hoffnung vor Einsicht, auf Literatur verstehen soll.
Der Siegertext, „Vielleicht Esther“, von Katja Petrowskaja gewann zu Recht. Er war der einzige, der – wenn auch mit Schwächen im Ausdruck – dazu angetan war, dem Preis, seiner Jury und der jungen deutschen Literatur den Arsch zu retten. Katja Petrowskaja schreibt über Deportation und Judenmord, über die Shoah und über sich, über die Familie. Sie tut es vielschichtig, rückblickend und zugleich auf sich selbst schauend. Der Text fiel also heraus aus dem, was sonst so geboten wurde.
Bei den anderen Preisen, die zu Klagenfurt vergeben werden, ist die Begründbarkeit meiner Meinung nach jedoch kaum noch gegeben. Die Texte sind belanglos, ohne Spannungsbögen, wie gemacht dazu, von dreißigjährigen Paaren gelesen zu werden, während man nebenher Sushi isst und sich eine ökologisch angesetzte Brause reinzieht.
So, wie die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt seit Jahren ablaufen, werden sie weiter ablaufen, ranziger noch werden, schimmelig. Spätestens seit Katrin Passig – die nicht nur eine großartige Schriftstellerin ist, sondern auch eine widersetzliche, partisanenartige – den Preis durch einen Text desavouierte, der deshalb nur geschrieben wurde, um in Klagenfurt zu gewinnen – und gewann –, hätte man bei der Auswahl der Kandidaten und also der Texte in sich gehen müssen. Man hätte sehen können, was es gibt, außerhalb jenes hermetisch abgeschlossenen Wohlfühlbezirkes, in dem eine Literatur blüht, die nichts mehr will, als einfach nur dazu sein. Die an sich den Anspruch stellt, nichts anderes zu wollen, als Wort zu sein, schöngeistig zu sein, aber eben nur schön ist – und für die nur schön, die nichts mehr kennen (wollen) außer eben dieser Literatur.
Döblin wäre gescheitert, Tucholsky wäre untergegangen, Böll hätte keine Chance gehabt. Denn – nicht nur – ihre Texte unterscheidet von denen, die da angeboten wurden, dass sie auf höchstem Sprachniveau einen Inhalt transportieren wollten, der nicht nur deshalb transportiert wird, weil es ja etwas geben muss, dass man in einen Text schreibt, damit anderes als Dada herauskommt. Dada allerdings wäre mir lieber gewesen. Ein ordentlicher dadaistischer Text – welch eine Erlösung hätte der sein können. Der hätte jedenfalls nicht mehr scheinen wollen, als er gewesen wäre.
Mit der üblichen Klagenfurter Literatur kommen die Tage nicht weiter. Das, was da geboten wird, ist sowenig ein Querschnitt junger deutschsprachiger Literatur, wie ein amerikanisches Café-Ketten-Café ein Kaffeehaus.
Wenn Klagenfurt über den Tag hinaus ernstgenommen werden will, muss man das Konzept verändern. Man braucht andere Juroren, von einigen Ausnahmen abgesehen. Solche nämlich, die mit Verve und zur Not mit deutlichen Worten für die Sache der Literatur streiten. Man braucht eine Auswahl an Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die nicht von der Jury vorgenommen wird, sondern von einem externen Gremium. Die Einbeziehung der PEN-Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der Schriftstellerverbände und der Akademien wäre möglicherweise ein Ansatz, der über den persönlichen Gusto der Juroren hinaus gehen würde. Und vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn ein solches Gremium auch die Kritiker auswählen würde und jeweils zur Hälfte jedes Jahr rotieren ließe.
So jedenfalls, wie es ist, kann es nicht bleiben.