Es ist, mit Verlaub, nachgerade unerquicklich einfältig sich über den Bundespräsidenten aufzuregen. Der Mann tut seinen Job. Was wäre anderes zu erwarten gewesen. Er hat dazu aufgerufen, im Namen von Freiheit und Democracy auch mal zu den Waffen zu greifen. Der Präsident sagt im Wortlaut: „Es gab früher eine gut begründete Zurückhaltung der Deutschen, international sich entsprechend der Größe oder der wirtschaftlichen Bedeutung Deutschlands einzulassen. Das kann ich verstehen! Aber heute ist Deutschland eine solide und verlässliche Demokratie und ein Rechtsstaat. Es steht an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte. Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen. So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen. Und dann ist als letztes Mittel manchmal auch gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggression erforderlich. Deshalb gehört letztlich als letztes Mittel auch dazu, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen.“ (Deutschlandfunk).
Nun mag man einwenden, dass das Grundgesetz in Artikel 26 anderes vorsehe. Aber erstens stimmt das nicht ihn der Art, in der der Artikel oft verstanden wird, und zweitens gibt es Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes.
Der Absatz 1 des Artikel 26 lautet: „(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“
Aber die friedensschaffenden Maßnahmen (eine Bezeichnung die die Schröder/Fischer-Regierung für militärische Einsätze im Ausland erfunden hat) sollen, sagt also die PR des militärischen Blocks, ja gerade dem friedlichen Zusammenleben dienen. Das wollte vermutlich schon Clausewitz und vor ihm Wallenstein, Karl der Große, Alexander, der auch groß gewesen sein soll und all die anderen, die ihre und ihrer Ideen Herrschaft über die Landesgrenzen hinaus transportieren wollten. Wo kein Feind mehr ist, kann auch kein Krieg mehr sein. Und die Feinde (Verbrecher und Despoten) sollen ja nun gerade bekämpft werden. Der Krieg als Vater des Friedens. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. [Hier sei mir ein sprachhistorischer Hinweis erlaubt: Schelm bedeutete bis ins neunzehnte Jahrhundert ‚Schuft‘, davor ‚Todbringer‘. Lustig wurde der Schelm erst neulich. Und so stimmt das Sprichwort in der Tat: Wer sich das Böse an der Sache denkt, der passt ganz formidabel zur Sache selbst).
Auch von Wichtigkeit ist sich deutlich zu machen, dass der Artikel 26 keineswegs die Führung eines Angriffskrieges unter ein Verbot stellt, sondern lediglich die Vorbereitung. Die geht aber, jedenfalls im Moment, in der Regel von der NATO in Brüssel aus und fällt deshalb nicht unter das Verbot. Blauhelmeinsätze sind sowieso nicht von der Regelung betroffen, weil die UNO gar keinen Angriffskrieg führen kann, das widerspräche der Logik der Institution.
Gauck gibt also den Stand der Dinge wieder. Das ist die offizielle Politik und es ist seine Aufgabe, sie in der ihm eigenen salbungsvollen Art herunter zu salbadern. Durch den Mund des gesamtenvölkischen deutschen Pastors bekommt der Krieg so höhere Weihen: Die Weihen von Menschrecht, Freiheit und Demokratie und eine gewisse Waffenwürde. Gauck tut, was schon Generationen Geistlicher vor ihm getan haben: Er segnet Krieg und Kriegsgrund. Gott mit uns!
Nicht mehr am deutschen Wesen soll die Welt genesen, sondern an den Wesensvoraussetzungen der bürgerlichen Gesellschaft. Gauck allerdings fällt hinter die wunderbare Realitätsoffenlegung Köhlers zurück, der seinerzeit wegen Ehrlichkeit im Amt zurücktreten musste. Köhler hatte inhaltsgenau aus dem Weißbuch der Bundeswehr vorgetragen: „„Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“ (Deutschlandfunk 2010). Was er da verlautbarte, war nichts anderes, als die beschlossene Optionspolitik der Bundesregierung. Es hat ihn sein Amt gekostet, denn das Weißbuch war kaum bekannt, hatte es nur verhalten in die Medien gebracht; man hatte es, für die Fälle notwendiger innerer Führung, aber man sprach nicht gern darüber. Köhler hatte die Klappe nicht gehalten, er musste gehen. Skandalös erschienen die Worte des Präsidenten, prosaischer als die Gaucks waren sie allemal. Man musste nicht mal transkribieren. Fragt man sich nun aber, was denn eigentlich der Doppelbegriff „Verbrecher und Despoten“ umfasste, so käme man angesichts der herrschenden Gegebenheiten schnell darauf, dass es just jene sind, die „ein Land unserer Größe“ an der Wahrnehmung „unserer Interessen“ hindern. Gaucks Einlassung ist also die Coverversion der Einlassung von Köhler: angenehmer in der Formulierung, ganz Menschenrechtsschlager in der Phrasierung, ohne ungewollte Dissonanz und mit himmlischen Harfen unterlegt. Dem Bourgois wird warm ums steinerne Herz, dem Citoyen läuft ein kalter Schauer den Rücken herunter.
Foto: Kleinschmidt / MSC, CCL 3.0, wikipedia