Ich erinnere mich Anfang des Jahres im BAIZ am Tresen gesessen zu haben, in einer ganz und gar berlinischen Nacht, und wir, das heißt ich und ein mir Unbekannter, versuchten zu ergründen, was Talent eigentlich sei. Da hatte ich Punk Pygmalion noch nicht gelesen. Sonst hätte ich leicht sagen können: „Das Talent heißt mit Vornamen Jutta und im Frankfurtischen“. So ging die halbe Nacht drauf.
Ich mag keine Briefromane. Ich gehe ihnen aus dem Weg. Sie sind eine nervige Lektüre, weil man sie nicht lesen kann, wie man einen Roman sonst in sich aufnimmt. Und meistens sind sie sowieso nur eine Ausflucht. Aber es gibt Ausnahmen. Den goethischen Werther zum Beispiel, oder Austers letzte Dinge. Und Jutta Piveckas „Punk Pygmalion“.
>>„You´re making it up“, sagte B., als ich versuchte ihm die Geschichte zu erzählen. Also schwieg ich. Dabei ist dies eine der wenigen wahren Geschichten, die ich erzähle. Eben deshalb wirkt sie erfunden.
Ich traf ihn im Sommer 1983 in Berlin. Er war ein Steinmetz aus Aarhus in Dänemark. Wir stießen auf eine Leiche, die in einen Müllsack verpackt im Landwehrkanal trieb. Wir liebten uns unter einem Eisenbahnviadukt. Man sieht sofort, warum B. diese Geschichte für eine – schlechte – Erfindung hält. Ein Mann mit riesigen Pranken, der Grabsteine haut. Eine Leiche, die im Landwehrkanal treibt. Liebe machen im Rhythmus der Züge. „Der Tod und das Mädchen“. Es ist einfach zu perfekt. Sagte B. Aber genau so war es. << heißt es im Klappentext, den ich nicht deshalb poste, weil ich zu faul wäre, irgendeine Stelle aus dem Buch abzutippen, sondern, weil er in der Tat die Spannung des Buches und herausragende Sprache Piveckas widerspiegelt. Denn das ist das erste, das wesentliche Qualitätsmerkmal: Da kann jemand schreiben, wie nur ganz wenige zu schreiben vermögen. Mit einer Sicherheit in der Wahl der Wörter, mit schönen, passenden, ja bisweilen lyrischen, Sätzen. Da konstruiert die Schriftstellerin, die Autorin zu nennen sich aus Respekt verbietet, Gegebenheiten, mauert ihre Geschichte hoch, wie eine Baumeisterin ein Schloß. Alles stimmt. Alles passt. Die Ebenen passen zum Erzählten. Das ist wunderbar. So mag selbst ich Briefromane lesen.
Das Buch kam mir an, wie Emily Brontës Wuthering Heights. Das liegt natürlich an der doppelten Ebene. Da stellt jemand Liebesbriefe aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in seinen Blog und schafft damit eine Doppelung der Medien- aber auch der Rezeptionsebenen. Aber ganz eigentlich war es die sprachliche Leistung, diese Art des Schreibens, der Wortwahl, der Herausformung von Aussage, Information und Versperrung der Ausgänge, die aus der Welt des Buches den Leser hinausführen könnten, die es mir erscheinen ließen, wie eine neue Sturmhöhe. Ich will ihnen nicht den Inhalt des Buches erzählen. Am Ende meiner Rezension finden Sie einen Link zum Bücherblogger, der einen gänzlich anderen Rezesensionsansatz als ich hat und Ihnen mitteilt, um was es im Buch geht. Mir kommt es ja viel mehr darauf an, wie der Inhalt transportiert wird, wie er in die Wirklichkeit wirkt, ob er also wirklich ist im kant’schen Sinne des Wirkens. Und in der Tat wirkt dieses Buch. Es ist ja auch ein Zeitbild und zwar zugleich des Jetzt und des Früher, eine doppelte Spiegelung vielleicht, sicher eine doppelte Fiktion, weil ja jeder Roman über Vergangenes sowohl schon in sich Fiktion ist, als auch die Fiktion doppelt, weil er Nachschau ist.
Es ist der erste Roman von Jutta Pivecka. Lediglich aus dem Jahre 1999 habe ich ein kunsthistorisches Sachbuch von ihr finden können. Das ist schade und verwundert. Weil die Sprache, weil die Gesamtkomposition nicht den Erstling verrät, weil alles ausgereift und auf höchstem Niveau daher kommt. Es wäre der deutschen Literatur zu wünschen, wenn da mehr käme. Bald. Und: viel. Es ist nötig, weil wir in der Tat gegen ein zweifaches Problem kämpfen: Den Herabfall der Sprache auf das Niveau der Schreibschulen auch in der Hochliteratur auf der einen Seite und den Hang zu einer unerträglich werdenden Manieriertheit auf der anderen. Nichts davon hier. Das ist ein eigener Schreibstil, eine große Sprache.
Es würde sicherlich die Schriftstellerin Jutta Pivecka beflügeln, (und wenn Sie das Buch gelesen haben, werden Sie sich auch wünschen, sie solle sich an den Schreibtisch setzen) wenn die Verkaufszahlen sich verbessern würden. Ziehen Sie also los und kaufen das Buch. Vorzugsweise im Buchhandel und nicht bei Amazon.
Jutta Piveckam, Punk Pygmalion, 18 €
edition tabernakel kritika, ISBN 978-3-905846-26-3