Eine banale Betrachtung
Eine leere Weinflasche ist für vielerlei Zwecke zu verwenden: Man kann eine Blume hinstellen, ihr eine Kerze aufstecken, man kann sie als Schlaginstrument gegen Widersache verwenden, man kann sie mit Flüssigkeit füllen und damit ent-leeren. Aber solange man das nicht tut, solange man sie also nicht benutzt, ist sie nur eines nämlich leer.
Einem Kunstwerk kann es niemals so gehen. Es gibt keine Form ohne Inhalt, weil die Form dann sofort zu Nichts zerfiele. Ich rede hier natürlich nicht von Rahmen oder einem Buch als materiellem Ding, sondern vom Träger der Information, also den Farben oder der Sprache. Und doch kann es einem Kunstwerk schlimmer ergehen, als es einer Weinflasche ergehen kann: Es
kann über den Punkt der Leere weit hinausgelangen, sozusagen in die Hölle für Kunstwerke: Die Form kann dem Schöpfer des Werkes wichtiger sein, als der Inhalt. Dann schafft er eine besondere Art von Leere, nämlich die Inhaltsleere, also ein Ansammlung von Elementen, die in dieser Kunstgattung die Kunst ausmachen (Farben, Wörter, Steine usw.), die aber zuvorderst nur eine Information tragen: Dass die Form dem Schöpfer wichtiger war, als ein durch sie getragenes Werkinhärentes. Die Form selbst wird zum Inhalt des Werkes. Es bleibt keine andere Information als die, dass der Künstler die Form beherrscht, aber nichts hat, was er mit ihr übermitteln könnte. Gleichsam kann man sagen: Das Werk ist voll Form, doch der Schöpfer ist voll Leere.
Es ist ein Irrtum, dass Form und Inhalt von einander abhängen. Das würde ja bedeuten, dass es für einen Inhalt auch nur eine Form gäbe und es den Inhalt nicht ohne eine bestimmte Form geben könne und die Form nicht ohne einen bestimmten Inhalt. Das ist falsch. Eine Form, zum Beispiel die Form des Phantastischen Romans, erzählt in traditioneller Sprache, kann viele Inhalte transportieren. Der Phantastische Roman wiederum kann in vielen verschiedenen Formen erzählt werden. Er IST aber nur, wenn er auch eine Idee transportiert, die im besten Falle auch sein Ideal ist. Transportiert er vorrangig nur die Form, d.h. die Sprache, so transportiert er nichts, was nicht auch der Duden transportieren würde. Also nicht mehr als eine in einer bestimmten Reihenfolge angeordnete Anzahl von Wörtern, die zwar einen Klang erzeugen mögen – wenn man als Rezipient Glück hat -, aber Kraft kann der Roman nicht entwickeln. Er hat nichts, was er mitteilen möchte, außer, dass sein Schöpfer die Form beherrscht. Seinen Bruder im Nichtsein findet ein solcher Roman in einem, der zwar einen Inhalt zu transportieren versucht, aber keine Form hat, diesen Transport auch durchzuführen. Sein jämmerliches Schicksal korrespondiert mit dem jämmerlichen Schicksal des anderen.
Die Kombination aus jener Form, die der Künstler wählt und dem Inhalt, den sie übermittelt, wird zu einer verschmolzenen solitären Eigenschaft. Beide machen ein einmaliges Werk aus beiden Teilen. Diese neue Einheit individualisiert das Werk aus der Summe aller Werke. Wenn beides stimmt allerdings nur. Fehlt eines, so wird das individuelle Werk wieder allgemein: Statt Haecceitas Quidität, wie die Scholastiker der Mittelalters sagen würden, die nicht immer irrten. Haecceitas bezeichnet das Einzelne, das DIES, während Quidität eine Sache als Teil eines summarischen Ganzen bezeichnet, die Washeit. Eine Form mit sich selbst als Inhalt und ein Inhalt ohne Transportform, verlieren die Eigenschaft des Solitären, also der Haecceitas und werden zu einem weiteren Tropfen im großen Meer der schlechten Kunstwerke.
Die Formüberhöhung, das Stellen der Form über den Inhalt scheint mir hauptsächlich innerhalb der bürgerlichen Kunst vorzukommen. Die Formüberhöhung ist dem Ideal von Vollkommenheit und Schönheit geschuldet. Sie will etwas sein, nämlich Kunst, und ist etwas anderes, nämlich Kunsttravestie. Die Formverachtung, also der Versuch sich nicht um die richtige Form zu scheren, scheint mir ein Merkmal „linker“ Kunst (Warum sind da „Tüttelchen“? Vergl..: Es kann keine linke Belletristik geben. Trotzdem fehlt sie http://leandersukov.de/?p=635) zu sein. Sie, diese „linke“ Kunst, weigert sich Kunst zu sein und verlegt sich scheinbar auf den von der Kunstform befreiten Informationsfluss. Allerdings fließt nichts, weil es zum Fließen in das Meer der guten Kunst eines Flusslaufes bedarf. Sie versickert. Und doch unterscheidet sie etwas wesentliches von ihrem bürgerlichen Gegenüber: Sie vertritt die Kunstlosigkeit nicht ideologisch. Das nämlich, die Formüberhöhung betreffend, geschieht dort (in der bürgerlichen Kunst), wo Künstler diesen Weg wählen. Sie begründen ihn, und sie stellen diese Formüberhöhung als integralen Bestandteil von Kunst dar, er wird folglich zu einer Ideologie. Anzutreffen ist das durch die gesamte Geschichte der Kunst, sowohl der Bildenden, als auch der literarischen. Es betrifft diejenigen Kunstschaffenden, die, wenn man so sagen darf: dazugehören wollen und doch nicht dazugehören können, weil sie eben über den Punkt des Kunsthandwerks nicht hinausgelangen. Sie sind Meister im Zimmern von Truhen, was sie allerdings hineinzulegen haben, ist zu klein, zu gering, für die Mächtigkeit des Möbels.