Der Begriff gewaltbefragungen-084742913der Gewalt ist einer der grundlegenden der politischen Theorie. Die Klassiker der Disziplin thematisieren durchweg den Aspekt der Gewalt. Bereits bei Thomas Hobbes, als einem neuzeitlichen Vertreter der politischen Theorie, ist die Staatsgründung, d.h. der Übergang von einem Naturzustand zu einem staatlichen, mit de Vorstellung von Gewalt verbunden. Der Gesellschaftsvertrag wird bei ihm abgeschlossen, um aus dem Zustand des Krieges aller gegen alle auszubrechen. Eine andere Ebene wäre dann auch die Legitimierung staatlicher Gewalt. Das Gewaltmonopol gilt in der politischen Soziologie als ein Kernelement der Staatlichkeit.

 

 

Der Sammelband „Gewaltbefragungen“ beruht auf einer Arbeitstagung zu „Politischer Philosophie der Gewalt“, die im November 2011 an der Universität Hannover stattfand. In den zwölf Beiträgen werden auf unterschiedliche Facetten der Relation Politik und Gewalt eingegangen. Grob sind diese auf die Bereiche:

 

  • Rechtfertigung der Gewalt

  • Phänomenologie von Gewalt

  • Analytik und Kritik der Gewalt von Staat und Gesellschaft

 

fokussiert. Die Autoren sind bekannte Gesichter – einschlägig forschende und lehrende Politik- und Sozialwissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum.

 

 

Die Beiträge reichen von der Auseinandersetzung mit den klassischen Theoretikern wie Hannah Arendt („Dramatisierende Gewalt“) und Karl Marx („Die ‚Entwirklichung’ der Freiheit“), über Aspekte der Internationalen Beziehungen („Liberaler Interventionismus“, „Feigheit und Sicherheit in der internationalen Politik“) bis zu Fragen der Gewalt als Legitimationsgrundlage „zivilisierter Gesellschaften“ („Gewalt gegen ‚Barbaren’ im Prozess der Selbstkonstitution zivilisierter Gesellschaften“) oder „Ziviler Ungehorsam – zwischen Gewaltfreiheit und Gewalt“.

 

 

Die beiden Herausgeber des Bands – Franziska Martinsen und Oliver Flügel-Martinsen – umreissen das Problemfeld des Sammelbands wie folgt:

 

 

  • Klärung der begrifflichen Konturen des Gewaltbegriffs

  • Methodisch-systematische Ausbuchstabierung der Gewalt in der politischen Philosophie

  • Normative Problematik einer Rechtfertigung von Gewalt

  • Kritische Dimension einer politischen Philosophie (vgl. 14f)

 

 

Die Vielschichtigkeit des Gewalt-Begriffs wird hierbei zweifellos gut skizziert. Ebenso macht dieser Band die Schnittmenge von politischer Theorie, Soziologie, Recht und den internationalen Aspekten dem Leser noch einmal deutlich.

 

 

 

Gleichzeitig – und damit ist der Band auch ein Spiegel des derzeitigen Zustands der Disziplin der politischen Theorie – es fehlt den Beiträgern dieses Bandes weitgehend der Mut, neue Perspektiven jenseits der abgetretenen Wege zu beschreiten und zu analysieren. Zum xten Mal werden die Klassiker von Thomas Hobbes über Immanuel Kant, von Karl Marx bis John Rawls erneut durchgekaut. Alles die Klassiker der Disziplin, während viel weniger bekannte Vertreter der politischen Theorie sicherlich auch andere wesentliche Aspekte beisteuern könnten. Die Ergebnisse sind daher wenig überraschend oder provokant – eher eine nüchterne Bestandsaufnahme. Ebenso verwundert, dass ein wichtiger Vertreter der Auseinandersetzung mit Gewalt – Johann Galtung („strukturelle Gewalt“) – völlig ausser Acht gelassen wird. Dennoch sind zweifellos einige wichtige Beiträge in diesem Band zu finden – zu erwähnen ist hier der Beitrag von Anna Geis („Liberaler Interventionismus“). Sie geht in ihrem Beitrag auf den „demokratischen Krieg“ ein, d.h. sie fragt nach der Legitimierung von Kriegen in Demokratien und widerlegt die These, dass demokratische Staaten zögerliche Krieger seien. Insgesamt ist der Sammelband als eine Bestandsaufname des Themenkomplexes der Gewaltdebatte in der politischen Theorie von gewisser Relevanz.

 

 

Maurice Schuhmann

 

 

Franziska Martinsen / Oliver Flügel-Martinsen (Hg.): Gewaltbefreiungen. Beiträge zur Theorie von Politik und Gewalt, transcript Verlag Bielefeld 2014, 230 S., Preis: 26,99 Euro, ISBN: 978-3-8376-2541-7.