Die LINKE als Partei gestärkt

War der Parteitag in Leipzig der Punkt, an dem DIE LINKE zu sich gefunden hat? An dem sie nun endlich geworden ist, was sie stets vorgab zu sein – eine Partei, eine geeinte Organisation? Ich meine: Ja, unter Bedingungen.

Obwohl die Wahlergebnisse für Katja Kipping und Bernd Riexinger nur zwischen 60 und 75 Prozent lagen, zeigt das Ergebnis von Vorstandswahlen und Antragsberatung: Der nationalstaatliche Flügel – also jener Teil der Partei, der die sozialen Probleme letztlich doch auf Deutschland verengt – hat keine Mehrheit. Seine Zustimmungsrate dürfte bei einem Viertel der Genoss*innen liegen. In etwa gleicher Größenordnung bewegt sich die Zahl der freischwebenden Radikalen. Sie haben sich bei den Vorsitzendenwahlen eindeutig für Kipping und Riexinger entschieden und sind zur Parteitagsmehrheit geschwenkt.

Zur Tradition linker Parteien gehört nicht nur der Streit – er ist nötig, wichtig und gut – sondern auch die Disziplin diesen Streit –als Mandatsträger*in erst recht – vornehmlich in der Partei auszutragen. Insbesondere, wenn er die Partei direkt in ihrer Konstitution und ihren grundlegenden Inhalten betrifft. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die DIE LINKE oft von dieser Tradition abweicht.
Löblich war deshalb der Versuch zu dieser Traditionslinie zurückzukehren. Gemeinsam mit den demokratisch gewählten Vorsitzenden haben sich die beiden Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, vor den versammelten Delegiert*innen zum innerparteilichen Diskurs bekannt. Ein Bekenntnis, das offenbar nichts wert ist.
Denn es dauerte nur Stunden, bis Sahra Wagenknecht eine eigentümliche, um nicht zu sagen: bizarre Auslegung des Leitantrages veröffentlichte. Dieser lautet in der Passage, die ja Klarheit in der sogenannten Flüchtlingsfrage schaffen soll: „Wir wollen das Sterben im Mittelmeer und an den europäischen Außengrenzen beenden. Dafür brauchen wir sichere, legale Fluchtwege, offene Grenzen und ein menschenwürdiges, faires System der Aufnahme von Geflüchteten und einen Lastenausgleich in Europa. Statt Abschiebung wollen wir Bleiberechte für Menschen und statt Familien auseinanderzureißen wollen wir sie zusammenführen.“ Die offenen Grenzen werden also nicht eingeschränkt. Es sind alle gemeint, weil niemand ausgeschlossen wird. Die Fraktionsvorsitzende jedoch interpretiert den Beschluss in sein Gegenteil um: „Ich finde es erfreulich, dass die Formulierung von offenen Grenzen für alle nicht mehr im Leitantrag enthalten ist. Denn das ist eine völlig irreale Forderung. DIE LINKE ist die Partei die für den Sozialstaat kämpft. Der Sozialstaat muss Sicherheit geben! Diese Forderung werde ich auch weiter offensiv vertreten.“ So schreibt Wagenknecht auf Facebook. Stutzig muss auch machen, dass die richtige Forderung nach einem Sozialstaat der Sicherheit gibt, in einen Wirkzusammenhang mit der Flüchtlingsfrage gebracht wird. Wagenknecht gibt hier Spekulationen über ihre Position freien Raum und schafft sich zugleich ein Rückzugsgebiet. Denn die Aussage ist absichtlich ambivalent. Das ist ihre übliche Vorgehensweise, sie macht das Unsägliche (hier die Verknüpfung von Flüchtlingsfrage und Sozialstaat) sagbar, lässt sich aber ein Schlupfloch offen – man spürt die Absicht, und man ist verstimmt.
Ihre Tifosi in der Fraktion brauchten auch nicht lange, um den Burgfrieden mit der Partei durch einen Hagel Giftpfeile aufzukündigen. Dass man sich dabei nicht scheute das Ergebnis des Parteitages und die innerparteilichen Kräfteverhältnisse in sein, resp. ihr, Gegenteil zu verdrehen verwundert nicht: Offenbar hat die im Ausmaß wohl unerwartete Niederlage des nationalstaatlichen Flügels um Wagenknecht, Lafontaine, Alexander Neu und Alexander Ulrich, zu erheblicher Unruhe geführt. Denn, wenn sich DIE LINKE als Partei offenbar nicht länger die Alleingänge der egomanen Fraktionsvorsitzenden gefallen lassen will, ist denkbar, dass auch die Fraktion der Partei folgt. Selbstverständlich wären die Anregungen und Diskurse Wagenknechts bei einer Abgeordneten ohne besonderes Mandat ein zu tolerierender und akzeptierender Vorgang. Das meinen auch viele der Parteimitglieder, mit denen ich seit gestern gesprochen habe. Für die Vorsitzende einer Bundestagsfraktion geht Ferne von der eigenen Partei nach meinem Dafürhalten allerdings nicht.
Ob sich Wagenknecht nach der angekündigten gemeinsamen Tagung von Fraktion und Parteivorstand eines anderen Verhaltens befleißigen wird, steht in den Sternen. Die LINKE im Bundestag braucht sich allerdings auch bei einem Abgang Wagenknechts nicht zu sorgen: Wie viele andere politische Beobachter, bin auch ich der Meinung, dass die Fraktion eine ganze Phalanx von Frauen hat, die Sahra Wagenknecht in Sachverstand, rhetorischen Fähigkeiten und Charisma in nichts nachstehen.

Inhaltlich hat sich die LINKE in Leipzig gefestigt. Der Leitantrag zeigt auch weiterhin ein klares demokratisch-sozialistisches Bekenntnis. Eine Aufweichung zu einer bürgerlichen Sozialstaatspartei hin, etwa zu einer Mischung aus Schmidt-SPD und Ehrhard-CDU ist nicht zu erkennen. Klargemacht hat die LINKE auch, dass sie es ablehnt nach informellen Führerprinzipien gelenkt zu werden. Sie steht hinter ihrem demokratisch gewählten Vorstand; jedenfalls in ihrer Mehrheit. Weder La France insoumise noch andere charismatische Bewegungen gelten den Genossinnen und Genossen als ein Ersatz für eine demokratisch verfasste Partei. Abgesehen davon, dass ein „unbeugsames Deutschland“ politisch nicht zu wünschen wäre, ist DIE LINKE ganz offenbar internationalistischer, als es LFI ist. Auch das ist ein gutes Zeichen.

Stürmischen Applaus erhielt die hessische Politikerin Janine Wissler. In Hessen sind, wie in Bayern, in diesem Jahr Landtagswahlen. Wissler ist, über Hessen hinaus, für ihre klaren Aussagen und ihre mitreißenden Reden bekannt. Wenn es in der Partei eine Person gibt, die in der Lage ist aus dem Stand Menschen zu erreichen, ohne dem vermeintlichen Volk nach dem vermeintlichen Maul zu reden, dann ist es die Vorsitzende der hessischen Landtagsfraktion.

Insgesamt wird die Partei dann auf einem guten Weg sein, falls es ihr gelingt einen Gleichklang von Fraktionsvorstand und Bundesvorstand in den Hauptfragen zu erzeugen. Die Mitglieder des geschäftsführenden Bundesvorstandes bringen dafür alle Voraussetzungen mit. Es bleibt zu hoffen, dass die Fraktion dafür Sorge trägt das Ihrige in der Sache zu leisten. Deutschland braucht eine starke linke Partei, frei von Personenkult und informellen Seilschaften.

Foto: Ferran Cornellà, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, Quelle: Wikipedia