Ein sehr interessanter Beitrag zur aktuellen Forschung
In den letzten Jahren ist es etwas ruhiger um das Werk des französischen Schriftsteller Marquis de Sade geworden. Es gab zwar noch mal den Versuch im französischsprachigen Raum, ein regelmäßiges Forschungsjahrbuch zu seinem Werk zu publizieren, aber das Diktum des französischen Literaturwissenschaftlers Michel Delon, der sagte, dass die Forschung zu Sade abgeschlossen sei, folgend wurde wenig Neues zu ihm veröffentlicht. Um so spannender ist die frisch erschienene Publikation des in den USA unterrichtenden Professors Nobert Sclippa, der 2004 einer der ersten wissenschaftlichen Konferenzen zu Sade außerhalb Frankreich unter dem Titel „Lire Sade“ organisiert hat. In den vergangenen Jahren hat er diverse Texte zu Sade veröffentlicht, von denen bislang noch keiner ins Deutsche übersetzt vorliegt. Nun liegt ein neuer Band von ihm vor.
Unter dem Titel „Nouvelles lectures de Sade: Tout dire“ hat er nun seine Aufsätze zu Sade beim französischen Verlag L‘Harmattan in Form eines Essays veröffentlicht. Er behandelt dabei u.a. Themen wie die Frage nach einer philosophischen Lesart seines Werkes, der konkreten Philosophie Sade und auch nach den Überscheidungen eines Sadeismus zum Buddhismus, die beweisen, dass es noch wenig rezipierte und sich dennoch lohnende Forschungsansätze zum Werk des göttlichen Marquis gibt. Dabei vertritt er durchaus immer wieder auch provokante Ansätze, z.B. wenn er in dem Beitrag „Confession de Sade“ postuliert, dass eine Lektüre Sades Katholik*innen dringend anzuraten sei – oder über die Verbindung zum Katholizismus nachdenkt.
Die von ihm hier versammelten Beiträge sind kurz und prägnant gehalten. Der Fokus liegt dabei neben den libertinen Romanen (120 Tage.., Justine, Juliette, Philosophie im Boudoir) auch auf dem, im deutschen Raum kaum beachteten Dialog eines Sterbenden mit einem Priester und auch auf seinen Briefroman Alinet et Valcour. Die von ihm verfassten Märchen und Theaterstücke hingegen klammert Sclippa aus seinen Überlegungen völlig aus. Dabei greift Sclippa vorrangig auf die Quellen zurück und vernachlässigt weitgehend die Sekundärliteratur, um einen unvoreingenommenen Blick auf das Werk zu haben. Er präsentiert dabei ein paar innovative Zugänge, auch wenn ich manchen Ansätzen und Urteilen wie z.B. über den philosophischen Gehalt seines Werkes andere Positionen beziehe. Insgesamt ein sehr interessanter Beitrag zur aktuellen Forschung.
Maurice Schuhmann
Norbert Sclippa: Nouvelles lectures de Sade: Tout dire, Editions L’Harmattan Paris 2024, ISBN: 978-2336460642, 196 S., Preis: 21,30 €.