Da sitzt sie bräsig, in gesicherten sozialen Verhältnissen, fern von Bombenanschlägen, Versorgungsengpässen und Angst um Leib und Leben in der Redaktion des Spiegels und schreibt einen Artikel, dessen moralische Güte Kurt Tucholsky zu einer erheblichen Vomitation hätte treiben können. Einen Artikel, der sich bloß macht und jede moralische Verhüllung abstreift. Der nicht, wie es ein ethisch intaktes Weltbild zwingend erfordert hätte und der moralische Anstand geboten, gegen das Unrecht des Urteils protestiert, sondern es mit Verständnis geradezu überhäuft.

Eine Kölner Jugendrichterin hat einen Flüchtling aus dem Irak, einem Land, in dem die Koalition der Willigen 300.000 Menschen auf dem Gewissen hat, eine Koalition zu der auch Deutschland indirekt gehört, wegen des gefährlichen Raubes von Socken im Wert von 1,99 € zu einer Haft von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt. Unter anderem weil der Flüchtlingsstatus (2 Asylanträge sind schon abgelehnt, einer läuft) nicht klar ist. Und der kann nicht klar sein, denn wir alle wissen: Gerade Iraker reisen gerne durch die Welt. Sie langweilen sich zu Hause: immer in der Gleichförmigkeit von Selbstmordattentätern, Kopfjägern des Islamischen Staates und rivalisierenden Banden und Militäreinheiten … da kann einem schon die Decke auf den Kopf fallen. Und deshalb machen sich gerade junge Leute, Kinder sogar, wie dieses eines war, als es hierher kam, auf den Weg nach Deutschland: sehen was geht. So jedenfalls muss sich die Sache in den Köpfen von Richterin und Journalistin abgespielt haben.
Und dann die Angst, dass da einer durch die Bundesrepublik reist, obwohl wir doch die wunderbare Residenzpflicht haben — und Residenzen hatten früher nur die Adligen und reichen Patrizier –, um Straftaten wie Sockenraub zu begehen. Auch wenn nur eine einzige Straftat aktenkundig ist: der Sockenraub nämlich. Da ist die Sozialprognose schlecht.

Was sind das für Menschen, die solche Urteile sprechen und solche Artikel schreiben? Können diese Leute, diese Richterin, diese Journalistin, können die gut schlafen? Oder brauchen die kein gutes Ruhekissen, also kein gutes Gewissen mehr? Können die sich morgens noch im Spiegel anschauen. Und wie stellt sich eine Richterin wie die da eigentlich das Volk vor, in dessen Namen sie die Urteile fällt? Wie stellt sich die bräsige Journalistin das Leben vor, in der Residenz des Flüchtlings, die er floh, wie das Land zuvor? Wie stellt sie sich kriminelle Niedertracht vor, angesichts ihrer unerträglichen Gutheißung von sechs Monaten Haft für einen Euro und neunundneunzig Cent?

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