Als ich vor einigen Jahren das Buch „Das bin doch ich“ dieses Autors las, habe ich mir geschworen, nie mehr einen Text dieses Autors zu lesen.
Nun passiert mit dem neuen Roman eine unglaubliche Hype. Startauflage 50 000 Exemplare, hymnische Lobesbesprechungen im Standard, vernichtende Kritik in „El libris“ in Ö1, eher schwache Beurteilungen in der „Presse“.
Ich wurde neugierig. Mein Budget nach dem Sommer war nicht allzu angespannt, also konnte ich mir die paar Euro abzwacken und das Buch bestellen. Meine Buchhändlerin sagte mir, sie sei auch schon neugierig auf meine Beurteilung, da sie eben auch so unterschiedliche Meinungen hörte und las. Und nach Kapfenberg kommt der Autor auch.
Also: Das größere Wunder gekauft und zu lesen begonnen.
Fangen wir beim Leichteren an, beim Plot, beim Thema, der Handlung:
Wir erinnern uns, in der Kindheit das Märchen gehört oder selber gelesen zu haben, wo es einer armen Familie gelungen ist, einen Teller Grießbrei zu bekommen der nie zu Ende ging. Die Armen, immer nur Grießbrei essen, dachte ich mir damals schon als Kind. Muss das fad sein! Nun der Protagonist des Romans ist in der Situation. Der braucht nie mehr was tun, das Geld hat ihm sein Adoptivgroßvater (wenn man diese schon einmal eigenwillige Konstruktion so bezeichnen will) hinterlassen, es wird nie ausgehen, was immer er auch tut – oder nicht tut. Wie halt das so ist, immer nur Grießbrei essen – ohne jemals die Chance zu haben, selber einen kochen zu müssen, das ist stinklangweilig. Und so entwickelt sich das Leben des Protagonisten Jonas. Nach einer zugegeben turbulenten Kindheit, die davon geprägt war, dass der Adoptivgroßvater da war und alles (und alle!) aus dem Weg räumte, die böse, hinderlich, waren. Probleme? Schule? Ärger mit Freunden? Leibwächter Zach sorgte für klare Verhältnisse. Da kann es schon einmal vorkommen, dass einem Zahnarzt, der dem Jungen zwei Zähne ohne Betäubung gezogen hatte, zur Strafe einmal die Hände und die Arme gebrochen wurden und dann sämtliche Zähne ausgerissen wurden. Probleme mit einer Verfolgung, Ausforschung des/der Täter? Der Dorfgendarm fährt ein Auto, das er sich mit seinem Gehalt nie leisten könnte, wohnt in einem Anwesen, dass … Soweit, so zum Gähnen.
Der Adoptivgroßvater stirbt, dessen leiblicher Enkel kommt bei einem der jugendlichen abenteuerlichen Mutproben ums Leben, Jonas bleibt allein zurück mit Geld – siehe Grießbrei!
Irgendwann entschließt er sich – (weil mir so fad ist???) bei einer der kommerziellen Everest-Besteigungen mitzumachen. Wir kennen das zur Genüge. Fünfzigtausend Dollar und du bist dabei. Ob du herunter kommst? Keine Garantie, aber eben deswegen – weil mir so fad ist!
Vor dort an wurde das Buch für mich zwiespältig. Also spannend schreiben kann er der Glavinic, die Situation im Basislager, die Vorbereitung zum Aufstieg, der Auf- und Abstieg in die Hochlager und wieder zurück, die Kämpfe und Krämpfe innerhalb des Teams, die Eifersüchteleien der einzelnen Teamleiter untereinander, das alles ist mit Bravour geschrieben. Entweder war er dabei oder er hat sich gründlich informiert. Da muss ich sagen, selber als Bergsteiger, zwar nie auf dem Everest (nicht einmal im Traum gedacht – eben weil mir nicht fad ist), und über den Mont Blanc (in der Höhe) und das Matterhorn (in der Schwierigkeit) nie hinausgekommen, erlaube ich mir die Beurteilung: Das Bergabenteuer ist großartig geschrieben. Ich gestehe, ich habe das Buch in einem Zug ausgelesen. Auch deswegen, weil ich wissen wollte: Kommt der Jonas nun hinauf oder nicht. Wollen Sie es wissen? Nein ich verrate das nicht. Lesen Sie ruhig das Buch.
Ärgern Sie sich über den total gekünstelten Plot, den Grießbrei, die vielen Zufallskonstruktionen – wie viel Zufälle dürfen eigentlich auf 523 Romanseiten vorkommen? Aber genießen sie die total spannende Beschreibung des Bergabenteuers, auch wenn Sie schon glauben, die Akklimatisierung hört überhaupt nicht mehr auf!
Thomas Glavinic: Das größere Wunder | Roman, Hanser Verlag, 2013