Volins dreibändiges Werk « Die unbekannte Revolution », welches erstmalig posthum 1947 erschien, ist ein Klassiker der anarchistischen Kritik an der russischen Revolution und des Bolschewismus – neben Alexander Bergmans « Der bolschewistische Mythos » (Verlag AV, 2004) der wohl wichtigste Text der anarchistischen Bolschewismuskritik. Auszüge aus Volins Werk sind u.a. separat in « Der Aufstand von Kronstadt» (Unrast Verlag, 2009) publiziert. Vollständig wurde der Text bislang erst einmal (1974) in deutscher Sprache publiziert, während der Text im Nachbarland Frankreich sich bereits seit der erstmaligen Publikation 1947 zigfacher Auflagen erfreut.
Der in Russland geborene Wsewolod Eichbaum, der unter seinem Pseudonym « Volin » berühmt wurde, zeichnet die Sozial- und Zeitgeschichte der russischen Revolution(en) beginnend ab dem Dekabristenaufstand (1825) bis zum Aufstand in Kronstadt (1921) sowie der Machno-Bewegung in der Ukraine (1921) nach. Die Darstellung der Machno-Bewegung orientiert sich dabei sehr stark an den Erinnerungen von Peter A. Arschinoff (Die Geschichte der Machno-Bewegung, Unrast Verlag, 2009), wie er selber zu gibt. Trotz seiner subjektiven Sicht spart er aber auch Kritik an der Bewegung nicht aus. Er spricht u.a. den Alkoholismus Machnos und das unter Alkoholeinfluss zu Tage tretende Frauen herabwürdigende Verhalten von ihm und seinem Kommandostab. Er geht in diesem Rahmen auch auf die sich im Umlauf befindlichen Gerüchte und Verleugnungen ein – wie z.B. die Unterstellung des Antisemitismus gegenüber Machno, was Volin als Sohn einer jüdischen Familie und vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Judenverfolgung in Nazideutschland natürlich auch persönlich sehr beschäftigt hat.
Volins sehr lebhaft geschriebene, umfangreiche Analyse ist eng verbunden mit seiner eigenen Lebensgeschichte. Er selber war während der Revolution von 1905 Mitglied einer sozialrevolutionären Partei, übernahm 1917 in einer anarcho-syndiaklistischen Gruppe Aufgaben und schloss sich 1918 der Machno-Bewegung in der Ukraine an.
In den drei Bänden – « Geburt, Entwicklung und Triumph der Revolution », « Der Bolschewismus und die Anarchie » und « Die Kämpfe für die wirkliche soziale Revolution » – verfolgt er die Geschichte chronologisch und zeigt die deutlichen Differenzen zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern auf sowie auch des häufig als monolithischen Block wahrgenommenen bolschewistischen Lagers.
An mancher Stelle in seiner Untersuchung würde man sich hierbei eine erläuternde Fussnote bzw. eine Richtigstellung von kleineren Fehlern seitens der Herausgeber wünschen. Die wenigen Fussnoten stammen noch aus der deutschen Erstveröffentlichung und verweisen meist auf längst vergriffene Buchtitel.
Dies tut dem Text jedoch keinen Abbruch. Er bietet eine gute Einführung in die Geschichte der russischen Revolution aus anarchistischer Sicht und verdeutlicht die Differenzen zwischen dem klassischen Anarchismus und dem Bolschewismus, die gerade in den neo-linken Strömungen von 1968 an immer wieder ignoriert oder heruntergespielt werden. Der Text ist sicherlich nicht zu Unrecht ein Klassiker der anarchistischen Geschichtsschreibung.
Neben dem Reprint des Textes der vergriffenen Ausgabe von (inkl. des damaligen Vorworts des Verlages Association von 1974) finden sich noch zwei Einleitungen zur Studie. Hier hätte der Verlag besser daran getan, eine Übersetzung des Volin-Kapitels aus Paul Avrichs bekannter Studie « The russian anarchistes » als die verwendeten Vorworte zu drucken. Roman Danyluk, der bereits ein Buch aus libertärer Sicht zur Geschichte der Ukraine (« Freiheit und Gerechtigkeit », Verlag AV 2010) verfasst hat, vertut leider die Chance, mit seinem Hintergrundwissen die Bedeutung des Textes zu qualifizieren. Philippe Kellermann, der zwar zweifellos ein guter Kenner der anarchistischen Geschichte ist, legt einen biographielastigen Essay vor, der zwar handwerklich sauber ist, aber zum konkreten Textverständnis auch nicht viel beiträgt. Hier hätte ich mir als Leser ein Vorwort eines ausgewiesenen Kenners des russischen Anarchismus bzw. der russischen Geschichte gewünscht, der die Bedeutung des Textes einordnet und die Stärken noch mal hervorhebt.
Es ist dem Verlag Die Buchmacherei zu danken, einen wichtigen Klassiker der anarchistischen Literatur wieder zugänglich gemacht zu haben – fast schon zynischer Weise mit einem Zuschuss der Rosa Luxemburg Stiftung. Gleichzeitig ist es zu bedauern, dass die Chance, eine vernünftig editierte Fassung des Textes zu publizieren, vertan wurde.
Maurice Schuhmann