Mena Koller ist nicht einfach nur eine weitere junge Frau, die Bücher schreibt. Mena Koller ist eine Schriftstellerin und sie ist, soweit das möglich ist zu diesem frühen Zeitpunkt, eine, die insofern eine fertige Schriftstellerin ist, als sie über einen ganz eigenen Stil verfügt und über einen Blick auf die Welt, der analysieren kann und sich erheblich von einer falschen Romantik löst. Sie wird, wenn sie weiterschreibt und es so tut, wie sie bislang schreibt, eine wichtige Schriftstellerin sein. Vielleicht eine, die man als Schriftsteller-Schriftstellerin bezeichnen wird – also als eine, die von jenen mehr rezipiert werden wird, die auch schreiben, als von jenen, die nur lesen.
Doch, doch, sie unterhält. Sie unterhält spannend, immer in das Innere ihrer Figuren schauend, auf dem Höhenzug, den die deutsche Sprache bietet und den so wenige erreichen können. Das hat natürlich überhaupt nichts mit Abgehobenheit zu tun, sondern damit, dass einer eine Sprache beherrschen können muss, um aus ihr jene Bilder schaffen zu können, die große Literatur malen kann während andere nur skizzieren.
Auf dem Abend der „Kirschen“, einer kleinen ambivalenten Künstlergruppe in Berlin, las sie den Text Paris. Welch ein graues Bild sie da farbenfroh von der Unausweichlichkeit von Leid zeichnet, von Welt- und Liebesschmerz und Verlorenheit. Und nicht einmal wird dabei in jenem falschen Sinne erklärt, in dem oft die Literatur, zu der Mena Kollers Geschichten nicht gehörten, erklärt. Da ist nichts von Inszenierung zu spüren – was natürlich nicht heißt, dass es keine Inszenierung gebe. Schöngeistige Literatur ist immer inszeniert. Nur: wirken darf sie so nicht.
Und Kollers Sätze, diese konzentrierten Kompositionen … wunderbar sind die, verdichtet, poetisch, aber nicht lyrisch. „Am Frühstückstisch stellen sie bei zwei Tassen schalen Kaffees fest, dass sie beide keinerlei kurzfristige Verpflichtungen hatten.“ Und dann der Schluss dieser Geschichte, die ich hier exemplarisch und willkürlich ausgewählt habe: „Und am nächsten Tag, als sie nach dem Besuch der Orangerie in dem Straßencafé im honiggelben Lampenlicht saßen und auf die graue, windige Straße blickten, als sie vom richtigen Abstand zu den Dingen sprachen, war nichts besser, aber das, was sie hatten, ließ ihnen den Raum, den sie brauchten, und sie dachten nicht daran, nach Hause zu fahren“. Da wird der Mikrokosmos, in dem sich das Pärchen, um das es hier geht, in jedem Absatz weiter verdichtet, da wird die gesamte Geschichte dieser beiden Personen in den kurzen Zeitraum der Story gepresst.
Fluchtpunkte ist ein knappes, kurzes Buch. Was, jedenfalls ging es mir so, nach der letzten Seite zu einem großen Bedauern führt. Wie gerne hätte ich weitergelesen in diesen wunderbaren Schicksalsschilderungen. Im Klappentext heißt es, Mena Koller charakterisiere ihre Figuren mit „berührender Tiefe“. Aber es ist eben nicht nur diese Tiefe, die berührt, sondern auch die Sprache, die Art des Aufbaus, die Verdichtung. Hier liegt ein Stück großer Literatur vor, die allerdings, auch das muss gesagt werden, noch nicht vollendet sein kann. Man spürt die Steigerungsmöglichkeit. Das ist ein bedrückendes Gefühl, denn zugleich bleibt Koller ja nicht unverglichen und im Vergleich mit dem, was deutschsprachige Literatur, bis auf die paar Ausnahmen, die es da gibt, leistet, wagt sich Mena Koller dorthin, wo jeder Fehltritt in den Abgrund von Albernheit oder Kitsch führen kann. Aber Koller fällt nicht, sie stolpert nicht einmal.
Wie schön, ein solches Buch gelesen zu haben.
Fluchtpunkte – Kurzgeschichten, Periplaneta, ISBN 978-3-94342-02-4, € 9,90
auch als e-Pub erschienen.