Helmut Böttiger ist ein mutiger Mann. Er hat ein Buch über die Gruppe 47 geschrieben und er hat die Herausforderung gut gemeistert. Keine einfache Sache, denn das Thema ist staubtrocken. Die Gruppe 47 ist vergangen und nur noch als Reminiszenz in dem erkennbar, was sich Literaturbetrieb nennt und eine kleine Gruppe von Menschen umfasst, die Literaturverwaltung oder gar die Literatur selbst zum Beruf erkoren haben. Stets also lauerte die Langeweile und war bereit, über Thema, Autor und folglich den Text herzufallen. Es ist der sprachlichen Meisterschaft Böttigers zu danken, dass sie ihn nicht erwischt hat.
Akribisch, wie meiner Meinung nach noch niemand vor ihm, arbeitet sich Helmut Böttiger durch die Geschichte der Gruppe, die zugleich eine Gruppe vieler war und doch eine One-Man-Show. Die zugleich auf den Literaturbetrieb wirkte und sich, je älter die Gruppe wurde, von ihm entfernte. Das Thema ist also geeignet, von mehr zu berichten, als es die inneren Abläufe der Gruppe sind – und Böttiger berichtet von mehr. Wir bekommen ein Bild des (west)deutschen Literaturbetriebes seit Ende des deutschen Faschismus bis zum Ende der Gruppe (1977) und darüber hinaus – man traf sich, sozusagen als verspäteter Leichenschmaus 1990 noch mal in Prag.
Böttigers Buch ist dazu angetan, mit Vorurteilen aufzuräumen und auch, das ist von hoher Wichtigkeit, die Gründe zu beleuchten, die zur Gründung der Gruppe führten. Damit wird selbstverständlich auch der Weg ausgeleuchtet, der von den Anfangen 1947 bis zum Ende 1977 beschritten wurde und der kein gerader Weg sein konnte, weil ich mit den Verhältnissen auch die Dichtung änderte. Dreißig Jahre lang hat die Gruppe 47 entscheidend, aber nicht allein entscheidend, die Literatur und den Literaturbetrieb in der Bundesrepublik mitgestaltet. Sie hat vorgelegt und was verlegt wurde, ging zu einem gewichtigen Teil durch das Feuer ihrer Kritik. Damit hat sie zugleich, denn die Sache ist in doppelter Hinsicht dialektisch, die literarische Kunst befördert und fehlgeleitet, hat zugleich geformt und deformiert. Man muss ihr dabei auch die eigene Mangelhaftigkeit als Verdienst zurechnen, denn sie führte zu einer, die Belletristik befördernden Gegenbewegung zum Ende der Gruppe hin. Daraus kann man keinen Krimi machen, aber man kann es, Böttiger hat es gezeigt, spannend gestalten. Er nimmt eine Historisierung der Gruppe vor, die eingebettet in das Zeitgeschehen ist. Damit liegt zum ersten Mal auch ein Werk vor, welches geeignet ist, in die Geschichtswissenschaften zu wirken. Dass es dabei in einer Sprache verfasst ist, die hohes literarisches Niveau erreicht, macht es aber auch zu einem Buch, für den nur persönlich interessierten Leser. Mit zahlreichen Zitaten und einigen Abbildungen schafft es Böttiger ein Bild der Zeit(en) zu zeichnen, dass faszinieren kann.
Das Buch, bei der DVA erschienen, sei deshalb all denen ans Herz gelegt, die sich, aus welchen Gründen immer, über Nachkriegsliteratur und die westdeutsche Literatur insgesamt informieren wollen.
Helmut Böttiger – Die Gruppe 47
DVA ISBN 978-3-421-04315-3 | 24,99 €