Die Aphorismen der Simone Weil
Simone Weil (1909-1943) ist zweifellos eine der interessantesten Protagonist*innen der französischen Philosophie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie studierte Philosophie und schloss mit einer Arbeit über Descartes ab. Sie arbeitet als Lehrerin und ist aktive Gewerkschaftlerin. Trotz ihres Pazifismus‘ und ihrer Nähe zum Marxismus schliesst sie sich im spanischen Bürgerkrieg den anarchosyndikalistischen CNT-Milizen an. Später wendet sie sich der Religion in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen – sei es in abrahamitischer oder fernöstlicher Tradition – zu und entwickelt sich mehr und mehr zu einer Mystikerin.
Die vorliegende Aphorismensammlung entstand zwischen 1940 und 1942, d.h. in der Spätphase ihres philosophischen Schaffens. Unterteilt in Bereiche wie „Verzicht auf die Zeit“, „Das Böse“ oder „Der Atheismus als Läuterung“ finden sich Aphorismen wieder folgende: „Tod. Augenblicklicher Zustand ohne Vergangenheit noch Zukunft. Unerlässlich, um zu der Ewigkeit Zutritt zu finden.“ (44). Sätze wie diese zeigen ihre aphoristischen Fähigkeiten, die sich keineswegs hinter Meistern jenes Genres wie Friedrich Nietzsche verstecken müssen. Neben Aphorismen finden sich auch viele Maximen. Die Religion – sei es in der jüdisch-christlichen Tradition oder der Buddhismus – sind in ihren Sätzen allgegenwärtig und bestimmen ihre Auseinandersetzung mit der Welt inder späteren Schaffensperiode, aus der diese Schrift stammt. Hierin zeigt sich die Mystikerin Weil. Referenzen finden sich dabei u.a. auch auf Siegmund Freud, Mahatma Gandhi (in Bezug auf dessen Konzept von Gewaltlosigkeit), Karl Marx und wiederholt auf die griechische Philosophie – namentlich Plato, der für ihr Denken eine wichtige Rolle spielt.
Die Sammlung „Schwerkraft und Gnade“ (OT: „La pesanteur et la grâce“) wurde im Jahr 1947 von dem mit ihr befreundeten, katholischen Sozialphilosophen Gustave Thibaud bei Gallimard publiziert, der auch die Auswahl der Aphorismen vornahm. Fünf Jahre später erschien die erste deutsche Übersetzung. Knapp 40 Jahre nach der letzten Veröffentlichung einer deutschen Fassung des Werkes beim Kösel Verlag erscheint nun eine Neuauflage des lange vergriffenen Werkes. Zur Einordnung hat Charlotte Bohn die Editorische Noziz beigesteuert. Für die hier vorliegende Ausgabe hat Frank Witzel (Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969) ein Nachwort geschrieben, in dem er sich essayartig dem Denken Simone Weils nähert. Insgesamt kann ich mich weitgehend Susan Sontag anschliessen, die sschrieb: „Jede Zeile Simone Weils lohnt die Lektüre.“
Maurice Schuhmann