Wie schade: Das Kind von Hans Christian Andersens Erzählung „Des Kaisers neue Kleider“ war schon wieder bei diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis im Klagenfurt nicht da!
Wie zu lesen heute in Perlentaucher: „Die österreichische Schriftstellerin Natascha Gangl hat den diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Es ist eine Auszeichnung im Namen der Kunst, jubeln die Kritiker: „Gangls Text war sicher der herausforderndste im ganzen Wettbewerb“, schreibt Christiane Lutz in der SZ. Die Jurymitglieder indessen waren im Nu begeistert und auch ansonsten „erstaunlich oft einig und erstaunlich milde gegenüber den Autorinnen und Autoren. Ob’s an der Hitze lag? Man wünschte sich zwischendurch etwas mehr Anarchie … und den Mut, häufiger mal etwas konstruktiv Provokantes in die Runde zu werfen.“
Ausgezeichnet wurde „ein sperriger Text, den man besser hört als liest“, findet Ann-Kristin Tlusty auf Zeit Online. Er handelt von Massakern der Nazis im österreichischen Grenzland. „Gangl findet eine originelle poetische Form, vom Grauen der Naziverbrechen zu erzählen. Das Massaker erschließt sich in Mundart: ‚WE-IN-IA-IUDN, GO?‘, fragt jemand die Erzählerin. Und später jemand anders: ‚WEIN-INA-IUSDN-O?‘ Übersetzt: Wegen der Juden da? Wen interviewst‘ denn da? Die Jury lobte diese Sprachspielhaftigkeit, auch wenn man Nerven bewahren müsse und der Sinn sich nicht immer erschließe.“
Wie auch bei „anderen literarischen Bewerben ließ sich in diesem Jahr eine Hinwendung zu Themen der Innerlichkeit verzeichnen“, stellen Julia Hubernagel und Yannic Walter in ihrem taz-Resümee fest. „Viele Ich-Erzähler manövrierten sich in Klagenfurt durch eine immer schwere zu begreifende Welt, in der der Nachrichtentakt die Fähigkeiten des rezipierenden Individuums bei Weitem übersteigt.“ Judith von Sternburg seufzt in der FR: „Die Lebendigkeit der Literatur zeigt sich alljährlich an diesem entlegenen Ort, an dem das Läppische neben dem Genialen koexistiert.“
Ich lese was hier von der Kritik gesagt wurde, lese die Kommentare, und frage mich: Ist das wirklich so? Wieso sind alle einig? Woher kommt das? Ist das, was hier zu lesen ist, wirklich eine Erzählung oder eher ein Essay? Große Literatur? Nach welchen Kriterien?
Ich bin wirklich überfragt. Wie gerne hätte ich die Anwesenheit des Kindes von Hans Christians Andersens Erzählung „Des Kaisers neue Kleider“ bei (nicht nur) diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis im Klagenfurt gewünscht!

Ausschnitt aus dem ausgezeichneten Text:

WOU G´HEASTN DU HI?
Wird zur Begrüßung gefragt, wenn nicht sicher – wer vor einer steht. Was heißen könnte: Wo gehörst du hin? Und fast klingt wie:
Wo
hörst
denn
du
hin?
Was das für ein Ort – fia a Uat – ist, aus dem du kommst, fragst du und hörst:
„Wo du her kummst schauts aus wie in am Computerspül.“
Also: Wie man sich die Grenze in am – einem Computerspiel vorstellen könnte: Zwei einander spiegelnde Hügelrücken liegen sich gegenüber, dazwischen ein begradigter Bach, der seit 667 Jahren Grenze zu machen hat. Voreinander, gegeneinander, zueinander, einander anblickend aufgelegt und abgesteckt: ein Heiliges Reich und das unheilige?, ein Magyar, ein Regnum, ein Herzogtum, ein k k kaiserliches königliches Kronland, Kraljevina, Königreich, ein Reich, Staat, Država, HerrschaWsgebiet, Großgrundbesitz, bewohnte Wildnis, eine Mark und noch eine Mark, eine Republika vor einer Republik, im letzten Winkel, Vendvidék, Wendenland, Windisches Land, Muravidék, Prekmurje, ein Flussland, Vulkanland, Hügelland, Grabenland – Dazwischen sor]ert vor und nach Gesinnungskataster: Die deutschen, deutschfreundlichen, die gemäßigten und die radikalen steirischslowenischen, ungarischslowenischen, jüdischen, deutschsteirischen, deutschslowenischen, die romani, die deutschwestungarischen, die ungarndeutschen – Horváths und Horvaths, Semlitsch und Zemljič, Šarl und Schadls, die Schischeks und Žižeks, Urbanič und Urbanitsch, Gombotz und Gomboc, die Tomašič und Tomaschitz, Guemanns und Gutmans, Šantel und Schantls, die Douponas, Majcans, Lamprechts, Skrabans, Frühwirths, Kovács, Gangls – festgeschrieben mit Z und Ž und mit C, mit TZ und Č, mit Š und SCH und N und den NN´s –.

Foto: Amrei-Marie, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons