Heute vor genau 75 Jahren betraten zwei mutige Studenten, ein Mann und eine Frau, die Münchner Universität mit einem Koffer voller Flugblätter gegen Hitlers Regime. Stalingrad war gefallen, was die Wende des Zweiten Weltkrieges einläutete, so dass die Bevölkerung hoffte, dass der Krieg nun nicht mehr lange dauern konnte. Die beiden Studenten legten ihre Flugblätter im Lichthof der Universität auf den Treppenstufen, Simsen, Absätzen und vor den Türen zu den Vorlesungsräumen aus. Genauer, das letzte Flugblatt der „Weißen Rose“, wie sich die kleine Gruppe der Widerständler, bestehend aus einer Handvoll Studenten und einem Professor, nannte.
Von der zweiten Galerie ließen sie den letzten Packen Flugblätter in den Lichthof hinunter segeln, was dem Hausmeister Schmid auffiel, der sie daraufhin, ohne dafür die Befugnis zu haben, verhaftete und der Universitätsleitung, später dann der Gestapo übergab. Der Mann wollte nicht, dass sie seinen sauber gekehrten Lichthof beschmutzten. Er gab später an, er hätte sie auch dann nicht laufen lassen, wenn sie Butterbrotpapier von der Galerie geworfen hätten. Wir erinnern uns in diesem Gedenkjahr 2018 an das mutige Aufbegehren dieser Studenten im gewaltlosen Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror. Die fünf maßgeblichen Drahtzieher der Flugblattaktionen, das Ulmer Geschwisterpaar Hans und Sophie Scholl, der Medizinstudent Alexander Schmorell, sein bester Freund Christoph Probst sowie der aus Saarbrücken stammende Willi Graf wurden verhaftet, verhört, von Blutrichter Freisler vor dem sogenannten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und allesamt im Jahr 1943 hingerichtet, ebenso wie der Philosophieprofessor Kurt Huber, der das letzte Flugblatt der „Weißen Rose“ unter dem Einfluss des Falls von Stalingrad verfasst hatte. Die meisten überlebenden Augenzeugen dieser Zeit, von denen ich viele noch persönlich treffen und befragen konnte, sind nicht mehr am Leben. Doch das Geschehen von damals darf nicht vergessen werden. Ein Akt der Zivilcourage, der freien Meinungsäußerung, des mutigen Widerstands gegen ein verbrecherisches, mörderisches und diktatorisches System.
Wir können leider heute vielfältige Parallelen zu dieser Art von Machtapparaten ziehen. Und wir erleben sowohl in unserem Land als auch in sehr vielen anderen europäischen Ländern eine Rückkehr zu nationalistischem Gedankengut, das Erstarken einer rechten, gewaltbereiten Szene mit verbalen und körperlichen Attacken gegen Andersdenkende bis in den Bundestag hinein. Dies ist eine wirklich erschreckende und ernst zu nehmende Entwicklung. Mein Roman „Zu blau der Himmel im Februar“, mit dem ich auch in diesem Gedenkjahr wieder auf Lesungstour unterwegs bin, steht absolut gegen solche Tendenzen und gegen das Vergessen. Vor allem auch jungen Menschen muss diese Geschichte erzählt werden. Verharren wir einen Moment und schauen in den auch heute sehr blauen Himmel hinauf. Laut den Augenzeugen war er während der Geschehnisse 1943 genauso blau, was ihnen wie ein Hohn vorkam. Überlegen wir einen kleinen Augenblick, was jede und jeder von uns tun kann, um die Welt ein klein wenig menschlicher zu machen, Toleranz zu üben, Hilfe zu leisten, Verständnis aufzubringen, gegen Gewalt und Willkür das Wort zu ergreifen. Nur so werden wir weiterhin in Freiheit zusammenleben können. Nur so werden wir die von den Gründungsvätern der jungen Bundesrepublik ehedem aus schlimmer Erfahrung aufgestellten, geforderten und festgeschriebenen Grundrechte nicht verraten und verkaufen. Die Taten der Menschen um die „Weiße Rose“ lehren uns, dass jede und jeder Einzelne von uns gefragt ist. Wir können das nicht anderen überlassen. Es gibt keine anderen. Nur uns.