haar idealist webDer zweite Band einer geplanten Trilogie, nach dem Roman „Mein Himmel brennt.“ Der doofe Heini hat es geschafft, das Abitur im bischöflichen Kolleg in Münster abgelegt und steht nun mit Rucksack, Reiseschreibmaschine und Pappschild „nach Berlin“ an der Autobahnauffahrt. Schon das zweite Auto das ihn mitnimmt ist ein Glückstreffer: Der Fahrer bietet ihm seinen Platz in der WG an – „eine WG mit Frauen und freier Liebe, und beim Streit um die Politik?“ „Alle sind locker drauf!“ Das Leben in Berlin beginnt, das Studium an der Uni, die Abmeldung aus der verhassten katholischen Kirche im Rathaus, die Vorlesungen, der Heiner wie er nun genannt wird, arbeitet sich ein und hoch. Wird Tutor für Marxismusseminare, Fachbereichsrat, usw. Demos, Randale, eben das Berlin der 70erJahre. Hinlänglich bekannt und beschrieben. Ehrlich ist der Autor bei der Erkenntnis der Sinnlosigkeit aller dieser Aktionen, als einer der Mitbewohner nach heftiger Diskussion sagt „In Kuba bekämst du dafür einen schönen Posten“. Alle Klischees dieser Zeit werden ausgebreitet: Partnerwechsel, die Anhaltungen durch die Polizei, die erste Reise ans Meer natürlich ganz romantisch „allein, nur wir zwei mit Wein und Käse an der französischen Atlantikküste,“ der unvermeidliche Thymianduft, usw. Bruch mit Partnerin, neue Bindung, Überdenken der beruflichen Orientierung, Einstieg als Lehrer an einer Berufschule für Handelslehrlinge, Unterricht in den Fächern Wirtschaft und Politik. Mobilisierung der Azubis, sich gegen Unzukömmlichkeiten im Lehrbetrieb zu wehren, Aufruf zum Mitmachen bei Demos gegen die Pershing-Stationierung, natürlich Troubles mit der Schulverwaltung: Recht auf Demos versus Pflicht des Schulbetriebs, Fragen tauchen auf, als Lehrlinge wegen der Teilnahme an der Demo oder wegen Anrufen der Gewerkschaft aus den Betrieben fliegen. Erste Selbstmorde der Betroffenen zwingen den „Idealisten“ zu einem Nachdenken. Die Ehe mit der großen Liebe wird ein Fiasko, die Adoption eines libanesischen Waisenkindes löst die totale Krise in der Beziehung aus. Es kommt was kommen musste: die Trennung von Lisa, Durchschlagen als Alleinerziehender des kleinen Jungen, bis die (ER)Lösung in Form von Ruth kommt. Inzwischen eskalieren die Ereignisse an der Schule, der „Idealist“ versucht mit allen Mitteln (auch mit illegalen) seine Schüler durch die Abschlussprüfung zu bringen. Gerät in die Falle der Türkenmafia, wird brutal zusammengeschlagen und denkt nach, wie es falsch gelaufen ist „ich unterstütze Azubis nur mehr, wenn sie selbst was organisieren!“

Heinrich von der Haar, geb. 1948 im Münsterland, Der Autor erreicht nach Volksschule, Banklehre, Handelsschule das Abitur. Anschließend studierte er in Augsburg und Berlin. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen u. a. zum Thema Kinderarbeit, sowie des Romans „Mein Himmel brennt“

Wie kommt das? Fragt sich der Rezensent nach der Lektüre des zweiten Romans von Heinrich von der Haar. Es ging mir dabei wie seinerzeit mit den Büchern von Franz Innerhofer: Die ersten beiden Bände „Schöne Tage“ und „Schattseite“ rissen mich (und nicht nur mich) zu Begeisterungsstürmen hin. Dann kamen die „Großen Wörter“ und die Leserschaft fragte sich „ist das derselbe Autor?“ Die Parallelen sind auffällig: Eintritt in die Welt der Universität, eben in die Welt der großen Wörter und die Ursprünglichkeit war weg. Abgesehen davon, dass man nach so vielen Jahren mit Recht einmal fragen darf, wen das Soziologenkauderwelsch in der Literatur heute noch interessiert, ist bei von der Haar wenigstens die Erkenntnis da, dass die „Anstrengungen“ sämtlicher Linkslinker eigentlich nutz- und sinnlos waren. Die, auf die es ankam, beispielsweise im vorliegenden Buch die Siemensarbeiter, riefen den bemühten Idealisten trocken zu: „Geht mal selber arbeiten oder macht rüber in den Osten“ das Scheitern der Idealisten wird eingestanden. Die Hilflosigkeit erkannt, aber eben keine Konsequenz daraus gezogen sondern weiter Plakate gemalt, verteilt.
Sprachlich ist das Buch wieder in „Bestform.“ Die Geschichte hat hinlänglich bestätigt, dass die Sprachlosigkeit der „damals Handelnden“ auch eine Ursache des kläglichen Scheiterns der Idealisten war. Sprachlosigkeit in der Form, wie innerhalb der Zirkel kommuniziert wurde und kein Zugang gefunden, zu jenen „auf die es ankam!“ Das ist meisterhaft geschildert, muss aber vom Leser zwischen den Zeilen entdeckt werden, ist ja kein Fehler, sondern macht die Lektüre spannend, verführt zum Weiterlesen. Ein Buch des Scheiterns von Idealisten? Ja, aber auch des Platzen von Utopien. Die Leere, die zurückbleibt macht betroffen, ist aber symptomatisch für die Akteure jener Jahre.

Wer sich nach mehr als 40 Jahren für die Zeit im Berlin der Nachrüstungsdebatte, der Pershing II Demos interessiert, für die Zeit vor dem Mauerfall, für jene Epoche, in der geglaubt wurde, auch mit Pflastersteinen gegen Polizisten, die Welt verändern zu können, wird an diesem zeitgeschichtlichen Dokument seine Freude haben. Es werden sich viele dort wieder finden, die den Marsch durch die Institutionen erfolgreich absolviert haben und heute im Nadelstreif oder im Haus in Grünewald nicht mehr an jene Tage in US-Army-Kleidern zurück erinnert werden wollen. Was leider auch in dieser Schilderung niemals vorkommt: Die Erkenntnis, die viel geschmähten „Bullen“ sind ja auch Teile des Proletariats gewesen und waren trotzdem die personifizierten Feindbilder. Das sind die Brüche der Geschichte, aber auch der Darstellung und der Schilderungen jener Zeit. Es ist das Verdienst des Autors in einem Nebensatz darauf hinzuweisen, dass die Akteure in der Kleidung der verhassten US-Imperialisten herumrannten. In der Kleidung des Klassenfeindes per se! Das sind jene Stellen, welche den Leser, der jene Zeit zwar in der tiefsten österreichischen Provinz erlebt, aber gründlich verfolgt hatte, heute Jahrzehnte später mit einer gewissen Genugtuung erfüllen. Spät, aber doch kamen sie drauf, wie widersprüchlich ihr gesamtes Agieren damals war. Wollte man heute Aktualitäten im Buch suchen? Die Aufgaben der Veränderung der Welt sind nicht geringer geworden, wer Ohren hat zu hören, der höre – die Signale: Ausbeutung gibt es noch immer!

Hans Bäck

„Der Idealist“ bei den Kulturmaschinen


Hans Bäck lebtbaeck in Österreich. Er ist aktives Mitglied des „Europaliteraturkreises Kapfenberg“ und gibt n.a. das Literaturmagazin „Reifeisen“ heraus. Von Hans Bäck erschien im Kulturmaschinenverlag das Buch „Lautsprecher in den Bäumen“.