Dutschke_CoverIn den Jahren 1978 / 1979 führten der ehemalige APO-Vordenker Rudi Dutschke und der wegen angeblicher Beteiligung an einem von der RAF verübten Banküberfall inhaftierte libertäre Autor Peter Paul Zahl (alle türen offen,  aber nein sagte Bakunin und lachte laut) einen ausgiebigen Briefwechsel. Zwei Ikonen der damaligen Linken, die in vielen Aspekten unterschiedliche Positionen vertraten, diskutierten unter erschwerten Bedingungen miteinander – Zahl sass in Haft, und die Bundesrepublik befand sich im Ausnahmezustand der Terroristenhatz. Erst am 24. Oktober 1978 erhielt Rudi Dutschke eine wiederholt eingeforderte Besuchserlaubnis bei P. P. Zahl.

Zahl selber wollte den Briefwechsel bereits 2001/2002 publizieren; dreizehn Jahre später wurde der Briefwechsel nun erstmalig von Dutschkes Witwe Gretchen und dem Germanisten Christoph Ludszuweit publiziert und um den im Hamburger Institut für Sozialgeschichte gelagerte Rudi Dutschke Nachlass ergänzt.

Der Briefwechsel an sich ist sehr spannend für die Rekonstruktion der linken Diskurse jener Epoche, enthält aber leider wie die Herausgeber selber im Vorwort bemerken, einige Lücken, weil einzelne Briefe nicht mehr auffindbar sind – darunter die erste Kontaktaufnahme der beiden. Sie kannten sich vorher nicht persönlich und es lässt sich nicht mehr rekonstruieren, wer den Briefwechsel bgeonnen hat. In den Briefen geht es um die Rolle der DKP, die Gründung der Grünen und die Schaffung der taz als auch um Fragen der Kampfformen (z.B. Hungerstreik), der Einordnung der 68er Bewegung als Studentenbewegung und biographische Episoden.

Neben dem Briefwechsel finden sich auch ein Brief von Peter Paul Zahl an Helmut Gollwitzer, einen engen Freund und Weggefährten Dutschkes, bezüglich des Todes von Dutschke.

Leider konnte nicht alle in Briefwechseln benutzten Abkürzungen von den Herausgebern aufgelöst werden. Ebenso vermisst man Fussnoten, die es dem Leser einfacher machen, den Inhalt zu verstehen – sei es wenn es um historische Ereignisse oder um diskutierte Publikationen (z.B. « radikal ») geht. Hier würde man sich als LEser ein bisschen mehr Handreichung der Herausgeber wünschen.

Den Briefwechseln vorrangestellt findet sich ein sehr oberflächliches und an manchen Stellen ärgerliches Vorwort von Gretchen Dutschke, in dem sie die bereits bekannte Lebensgeschichte von Dutschke wiederkäut. Vieles scheint sie nicht zur Kenntnis genommen zu haben bzw. ergeht sich in Erläuterungen auf Wikipedia-Niveau. Dies zeigt sich z.B. in ihrer völlig fachfremden Erläuterung des Begriffs « libertär »: « Wenn Peter Paul Zahl in den Briefen den Begriff ‚libertär’ benutzte, um sich selbst zu beschreiben, war das insofern problematisch, als die Libertären im nordamerikanischen Kontext für die Ungleichheit und Unterdrückung der Schwachen und Arbeiter eintraten. » Die erschwerten Bedingungen des Briefwechsels spielen im Vorwort auch wenn nur eine völlig untergeordnete Rolle. Relevant für das direkte Verständnis des Briefwechsels ist lediglich die Passage über den gemeinsamen briefwechsel.  

Zur weiteren Ergänzung findet sich eine biblio-biographische Skizze Peter Paul Zahls von Christoph Ludszuweit, der ihn persönlich gut kannte. Er trägt sehr viele Fakten zusammen, die dem Leser einen Einblick in die Persönlichkeit und das Werk P. P. Zahls bieten.

Nach der Lektüre bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. Der Briefwechsel ist ohne Zweifel ein wichtiges Dokument linker Geschichte und eine Inspirationsquelle für die Politik einer neuen Linken. Gleichzeitig ist die Aufbereitung des Briefwechsels leider nicht so, wie man sie von einer wissenschaftlichen Edition erwartet. Das betrifft sowohl die fehlenden Fussnoten zum Briefwechsel, die dem Leser viel Vorwissen abverlangen, als auch das Vorwort von Gretchen Dutschke, welches zwar im Groben alles umreisst, aber für den Kenner der Materie nichts Neues bietet. Der Band bietet das Bild eines lediglich halbbearbeiteten Rohdiamanten….

Maurice Schuhmann

Mut und Wut. Rudi Dutschke und Peter-Paul Zahl Briefwechsel 1978/79. Bearbeitet von Gretchen Dutschke, Christoph Ludszuweit und Peter-Paul Zahl, Verlag M Berlin 2015, Preis: 22,90 €, 280 S., ISBN: 978-3-939254010.