Zentralrat Deutscher Sinti und Roma appelliert an KIKA und SWR: Antiziganistischen Kinderfilm nicht senden

Heidelberg, (lifePR) – Beim gestrigen Fachgespräch zum Thema "Antiziganismus und staatliche Filmförderung" wiederholte Romani Rose als Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma seinen Appell an den Südwestrundfunk (SWR), den Kinderfilm Nellys Abenteuer nicht auszustrahlen und auch nicht in das Programm des KIKA, des gemeinsamen Programms von ARD und ZDF, aufzunehmen.

Beim gestrigen Fachgespräch zum Thema "Antiziganismus und staatliche Filmförderung" wiederholte Romani Rose als Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma seinen Appell an den Südwestrundfunk (SWR), den Kinderfilm Nellys Abenteuer nicht auszustrahlen und auch nicht in das Programm des KIKA, des gemeinsamen Programms von ARD und ZDF, aufzunehmen.

Der Film enthält nach Auffassung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma massive antiziganistische Klischees und Stereotype, die ihn völlig ungeeignet für die Zielgruppe von Kindern machen.  Die pädagogische Altersempfehlung empfiehlt den Film für Kinder von neun Jahren an und für die dritten Schulklassen. Bei der Fachtagung stellte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma das Gutachten von Pavel Brunßen, Technische Universität Berlin, vor, das dieser Erklärung vollständig anhängt.

Im Ergebnis der detaillierten Filmanalyse heißt es:

"In Nellys Abenteuer werden Roma durchgehend als Fremd und Anders dargestellt. Dies ist konzeptionelle Grundlage des Films: Es soll ein scharfer Kontrast zwischen den ‚eckig‘ denkenden Deutschen und den ‚freiheitsliebenden‘ Roma hergestellt werden. Die Handlungen und Eigenschaften der Roma im Film erfolgen entlang einschlägiger antiziganistischer Topoi: Roma erscheinen demnach als Kleinkriminelle, Trickbetrüger, Bettler, beim Aufführen ‚traditioneller‘ Tänze, als Kindesentführer usw. Roma in anderen Lebenssituationen, wie etwa in ‚regulären‘ Berufen oder als Studierende, werden im Film nicht gezeigt. […] Hängen bleibt jedoch das Bild von den kriminellen, unzivilisierten, disziplinlosen und triebgesteuerten Roma, die keine Moral kennen. Vor diesem Hintergrund ist es als besonders kritisch zu bewerten, dass der Film im Fernseh- oder Kinoprogramm aufgenommen wird und als Bildungsmaterial für Kinder und Jugendliche verwendet werden soll. Die stereotypen Darstellungen des Films setzen sich im begleitenden Bildungsmaterial fort, und provozieren pauschalisierende und essentialisierende Aussagen über Roma." (Seite 19).

Prof. Urs Heftrich von der Universität Heidelberg konstatierte in seinen Anmerkungen zum Film, dass antiziganistische Klischees nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil zementiert  würden:

"Nellys Abenteuer präsentieren die Roma, über ihre Charakterisierung als notorische Taschendiebe hinaus, als Handlanger zu einem Verbrechen, das nach § 239a StGB mit ‚Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft‘ wird: ‚Erpresserischer Menschenraub‘. Dass der Mastermind hinter diesem Plot kein Rom ist, dass dieser Mastermind (so Prof. Becker in seinem Statement) die Erwartung, Roma neigten zur Kindesentführung, in seinen Plot einkalkuliert und dass Nelly zuletzt mit Hilfe eines jungen Rom gerettet wird – all dies ändert nichts an der Tatsache, dass Roma (speziell Romamänner) im Film diejenigen sind, die das Verbrechen real durchführen. Auch rassistische Filme in den USA haben fast immer den adulten männlichen Afroamerikaner als besonders gefährlich dargestellt. Wir haben es hier geradezu mit einem rassistischen Archetyp zu tun."

Während des Fachgesprächs machten unterschiedliche Teilnehmer deutlich, dass der Film Nellys Abenteuer in der Tat antiziganistische Vorurteile produziert und reproduziert.  Gerade weil auch aktuell immer wieder in der medialen Berichterstattung das Bild von Sinti und Roma mit einer auf der Abstammung beruhenden Kriminalität verbunden und so ein Zerrbild produziert werde, seien die Zuschauer des Films bereits disponiert für die Aufnahme und Bestätigung solcher Stereotypen, erklärte Markus End als Vorsitzender der Gesellschaft für Antiziganismusforschung.

Die Teilnehmer des Fachgespräches stimmten darin überein, dass die Ethik des Filmemachens über oder mit Sinti und Roma neu diskutiert werden müsse, und zwar gleichermaßen an den Filmhochschulen und  Akademien wie in den Einrichtungen der Filmförderung. Für diese wäre es eine Möglichkeit, in der jeweils zuständigen Jury einen Ethikbeauftragten zu bestimmen. Dies bedeute keine Einschränkung der Kunstfreiheit, wohl aber müsse von der Filmförderung erwartet werden, dass ethische Standards, die die Würde von Minderheitenangehörigen schützen, existieren und eingehalten werden, so Rose. 

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht nach dem Fachgespräch seine Kritik am Film wie an der Filmförderung in Deutschland weitgehend bestätigt.  Es bleibe unverständlich, dass  ein solcher Film die einschlägigen Gremien der Filmförderung durchlaufen konnte, ohne dass die Produktion und Reproduktion von Stereotypen bemerkt wurde.  Ein ähnlicher Film über antisemitische Stereotypen und Ressentiments im Kontext einer Reise nach Israel wäre – so will ich voraussetzen – auf jeder Jurysitzung sofort abgelehnt worden, so Romani Rose.  Der Film Nellys Abenteuer wurde mit über 930.000 Euro aus Steuermitteln finanziert.

Nachdem in der vergangenen Woche ein Gespräch mit dem Programmdirektor des Südwestrundfunks (SWR), Dr. Christoph Hauser, und Vertretern der Produktionsfirma und der MFG Filmförderung Baden Württemberg über Nellys Abenteuer ohne eine Annäherung der Positionen verlaufen war, erneuerte der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, seinen Appell, diesen Film nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu zeigen.

"Es ist im Grunde unvorstellbar, daß in Deutschland ein Film mit einem derart antiziganistischen Inhalt erst mit Steuergeldern subventioniert wird, und dann im Kinderprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ausgestrahlt wird“, erklärte Romani Rose. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wird sich deshalb nochmals an die Progammverantwortlichen des SWR, dessen Intendanten und den Rundfunkrat, sowie an die Programmverantwortlichen des von ARD und ZDF gemeinsam betriebenen Kinderkanals (KIKA) wenden.