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Seit der sogenannten Cubakrise war die Gefahr eines großen Krieges nicht mehr so nah wie heute. Ein Krieg aber muss, unter allen Umständen, verhindert werden. Es kommt darauf an, deutlich zu zeigen, dass Kriegsteilnahme oder seine Unterstützung für die Staaten Europas innenpolitische Instabilität und massenweise Ungehorsam bedeuten wird. Es kommt also darauf an, die Bürgerrechte zu verteidigen, die bei einem Krieg erlöschen werden, wie sie in der Ukraine und Russland, in unterschiedlichem Maße bereits erloschen sind. Dort, wo der Konflikt sich massiert, wo er heiß geworden ist, sind sie freilich fast gänzlich perdu. Die Toten der vergangenen Kriege warnen uns. Was kommen kann – es mag schrecklicher und schlimmer werden als das, was wir im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert und im beginnenden einundzwanzigsten im Europa, im Mittleren und Nahen Osten, in Afrika auch, erlebten.
Es ist deshalb ganz ohne Frage richtig, für den Frieden auf die Straße zu gehen. Es ist dabei unerheblich, wer ihn fordert. Nicht unerheblich ist, wer für ihn öffentlich dann spricht, nicht unerheblich sind die Spruchbänder und die Slogans auf den Pappschildern, nicht unerheblich sind die Fahnen. Mit Widerwillen muss für die einen die palästinensische Fahne hinzunehmen sein, für den anderen die israelische, Widerwillen mag es geben gegen die Fahne Russlands oder der USA. Inakzeptabel aber sind die Reichskriegsflagge, die Fahne Preußens oder auf dem Kopf stehende Bundesflagge. Nicht zu dulden  sind auch Plakate mit eindeutig rechten oder rechtsradikalen Slogans. Wer mit Parolen wie „Demokratie ist Volkstod“ daher kommt, darf nicht willkommen sein. Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg. Mit Nationalismus, Revanchismus, Chauvinismus und den Attitüden von abendländischer, gar christlicher Überlegenheit ist kein Frieden zu machen.
Für den Frieden zu sein, bedeutet, meiner Meinung nach, auch, sich nicht einer der Konfliktparteien zuzuordnen. Der Konflikt, der sich in der Ukraine kulminiert, der aber kein ukrainischer Konflikt ist, sondern einer von imperialen Zentren, erfordert Neutralität.
Die NATO auf der einen Seite, Russland, das seine Bedeutung und seinen Platz für die und in der Welt neu definieren will, auf der anderen Seite, fordern Solidarität ein, die ihnen nicht zukommt. Europa, d.h. die Europäische Union, hat sich dabei darauf festgelegt, der NATO, in erster Linie also den USA zu folgen. Das ist, meine ich, ein schwerer Fehler. Europa bedarf einer europäischen Außenpolitik. Diese muss nicht völkerrechtswidrige Akte dulden, aber realistisch erkennen, dass die russischen Aktionen in der Ukraine weder ein ukrainisches Problem sind, noch ohne Traditionslinien verlaufen. Die völkerrechtswidrigen Kriege gegen Afghanistan, insbesondere aber den Irak und Jugoslawien haben das Völkerrecht schwer beschädigt. Es kommt darauf an, zu heilen. Und so muss eine europäische Außenpolitik beim Status quo ansetzen. Die – auch erzwungenen – Grenzziehungen, die Lage, wie sie ist, muss eingefroren werden. Für die Ukraine bedeutet das, einen Cordon Sanitaire zu schaffen, der von gemischten und durchmischten europäischen Truppen bewacht wird, die ein robustes Mandat haben. Man wird dann zu neuen, ordentlichen Abstimmungen im Gebiet des sog. Neurussland kommen müssen, und das Ergebnis muss verbindlich sein. Zugleich wird man Russland Zugeständnisse beim sogenannten Raketenschild machen und die NATO-Osterweiterung einfrieren müssen. Die Krim ist verloren.
Einher gehen muss das mit einer stärkeren Ächtung rechtsradialer Parteien in Europa. Und einer strikten Beobachtung russischer Aktivitäten hinsichtlich der Unterstützung solcher Parteien. Auch muss Europa die russische Innenpolitik, die sich gegen die Freiheitsrechte richtet, ächten. Handelsrestriktionen helfen dabei allerdings nicht. Die russische Opposition wird nicht befördert, in dem man Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen schafft, vielmehr stärkt man dadurch die nationalistischen Kräfte.
Die russische Regierung hat gezeigt, dass sie ihre Innenpolitik, insbesondere die Wende bei den Freiheitsrechten hin zu einem reaktionären Bündnis von orthodoxer Kirche und Saat dazu nutzen will, auch außenpolitisch zu wirken. Jene Kräfte, die den intellektuellen Überbau liefern, Dugin z.B., sind jene Kräfte, die für die Stärkung rechtsradikalen und ultra-nationaler Parteien in Europa plädieren. Ihnen muss man entgegentreten. Einreiseverbote wären ein Mittel dazu.
Allerdings muss man sehen, dass die russische Politik tut, was die Politik von EU-Mitgliedsstaaten und der USA auch tun: Sie versucht den Gegner zu zersetzen, in dem sie die Opposition stärkt. Putin setzt dabei auf antieuropäische Parteien von rechts. Das liegt vorrangig – aber nicht nur – an deren Stärke. Die USA und die involvierten EU-Staaten setzen auf Stiftungen und die Finanzierung auch zweifelhafter Gruppen. Die Konzepte gleichen sich. Auch das ist ein Grund für die strikte Neutralität.
Wer mit Russland sympathisiert, weil er dem Irrglauben anhängt, der Feind seines Feindes sei der seine oder der allgemeinen Phrasendrescherei glaubt, tut nichts anderes, als der, der auf die NATO, die gegenwärtige EU oder die USA setzt. Der Konflikt geht nicht um die Ukraine, nicht um das Völkerrecht und nicht um demokratische Rechte. Sowohl die Ukraine, wie auch das Recht werden verlieren, wenn es nicht gelingt, die Situation zu befrieden. Denn der Konflikt ist ein Konflikt um Ressourcen und Machtausdehnung. Das gilt für Russland, wie es für die USA gilt. Und dem ist dauerhaft nur beizukommen, wenn es einen weiteren eigenständigen, auf die eigenen Interessen ausgerichteten Akteur gibt: Europa.