Der Überfall der russischen Armee auf die Ukraine ist vom russischen Präsidenten Putin inhaltlich deutlich eingehegt worden. In einer einstündigen Rede hat seine, aus der Geschichte Russlands herrührende Begründung geliefert. Er strebt ein russisches Reich in den Grenzen von 1991 an, also unter Einbeziehungen jener Gebiete, die nun seit 30 Jahren souveräne Staaten an. Dabei sieht er Russland seit Jelzin als Opfer westlicher Umtriebe, die es in der russischen Großmachtstellung beschädigt hätten. Die Bedrohung durch die NATO ist für ihn eine Frage der Tiefe des Landes.
Wenn man die Rede Putins, seine Innenpolitik und nun die Aggressionspolitik nach Außen auf die Einordnung ins Politikengefüge hin abgleicht, wird man schnell zu dem Ergebnis kommen können, dass hier eine neue faschistische Macht entsteht oder bereits entstanden ist. Seine Politik nach innen ist repressiv, aber doch massenwirksam, er hat keine Massenpartei entwickelt, beherrscht aber quasi alle großen Medien und, vielleicht bis auf die russische kommunistische Partei, alle Parteien. Seine Demokratie ist eine Scheindemokratie. Vermutlich ist ein Wechsel der Richtung von Staat und Politik nur durch eine Revolte von Innen möglich, etwa durch die Militärs oder durch die Oligarchen.
Nach außen bedroht Russland nun nicht mehr nur die Ukraine. Auch Georgien, die Republik Moldau sind von Okkupationsphantasien bedroht, Finnland und Schweden durch den Wunsch, einen Ausbau der NATO nach Skandinavien zu verhindern. Die baltischen Staaten die ja schon NATO-Mitglieder sind und die einzige Grenze der NATO zu Russland bilden, sind zur Zeit aufgrund ihrer Bündnisbindung offenbar noch sicher.
Der Überfall auf die Ukraine, die ständige Verschleierung der Absicht, es zu tun, hat Russland an den Rand der Weltgemeinschaft geschoben. Es ist weitgehend isoliert. Bei der heutigen Ansprache Lawrows, die virtuell erfolgte, an die UN haben sich über einhundert Diplomaten erhoben und den Raum verlassen. Gleichwohl: Der Angriff dauert an. Er ist Teil einer nun auch deutlich angekündigten Landnahme.
„Die Vorstellung von einem allmächtigen Diktator personalisiert den Faschismus und schafft den falschen Eindruck, dass wir ihn schon vollständig verstehen könnten, wenn wir nur seine jeweiligen Führer betrachten. Dieses Bild, dessen Macht bis heute nachwirkt, ist der letzte Triumph der faschistischen Propaganda. Es liefert den Nationen, die faschistische Führer guthießen oder tolerierten, ein Alibi und lenkt die Aufmerksamkeit weg von den Personen, Gruppen und Institutionen, die ihnen dabei halfen.“, schreibt Robert Owen Paxton in Anatomie des Faschismus (München: DVA 2006 ISBN 3-421-05913-6). Und er weißt uns damit auf die gesellschaftliche Dimension hin, die Putin geformt hat. Putin ist das Resultat der Jelzin-Zeit, der Korruption und der anwachsenden mafiösen Kapitalherrschaft mit direktem Zugriff auf Ressourcen. Die Ideen des russischen Faschismus, entspringen aus dem Verlust der Großmachtstellung, aus dem selbstgewählten Opferstatus, aber auch aus einer in der fernen Vergangenheit liegenden Größe, die es wiederzuerlangen gelte.
Paxton schreibt dazu im schon erwähnten Werk: „Faschismus kann definiert werden als eine Form politischen Verhaltens, das gekennzeichnet ist durch eine obsessive Beschäftigung mit Niedergang, Demütigung oder Opferrolle einer Gemeinschaft und durch kompensatorische Kulte der Einheit, Stärke und Reinheit, wobei eine massenbasierte Partei von entschlossenen nationalistischen Aktivisten in unbequemer, aber effektiver Zusammenarbeit mit den traditionellen Eliten demokratische Freiheiten aufgibt und mittels einer als erlösend verklärten Gewalt und ohne ethische oder gesetzliche Beschränkungen Ziele der inneren Säuberung und der äußeren Expansion verfolgt.“
Aber Paxton ist nicht der einzige, dessen Faschismustheorie vollumgänglich auf Russland zutrifft. Auch die Theorie Dimitroffs, die Leit-Theorie einer leninistischen Erklärung des Phönomens, trifft zu. Andere treffen teilweise, aber doch mit einer klaren Tendenz zu. Ich bin mir deshalb sicher, dass in Russland ein neuer Faschismus sich Bahn bricht. Und er tut es über Russland hinaus.
Dabei vereinnahmt er als westliche Parteigänger Teile der sogenannten orthodoxen Linken. Die Anhänger einer sogenannten Sozialismus‘ marxistisch-leninistischer Prägung haben nach dem Ende der Sowjetunion nicht alle sich abgewendet, von dem, was sie als Konterrevolution doch erkannt haben und sind dem Land aus eher nostalgischen Gründen treu geblieben. Putin war für sie eine Person, der die Auferstehung Russlands nach dem Niedergang unter Jelzin, zuzutrauen war. Die Lebensbedingungen für die Menschen verbesserten sich spürbar, Russland war zurück auf der Weltbühne und trat nicht nur als Statist auf. Für eine Reihe derer, die in unverbrüchlicher Treue der Sowjetunion huldigten, war Putin die Brücke in die Vergangenheit, die so gar nicht recht vergangen war.
Manche von denen stehen nun geschockt vor der Aggression nach außen. Viele aus diesen Kreisen aber erfinden Entschuldigungen für den Kremlherrscher: Die NATO, die Demütigungen usw. und treiben damit vom Westen aus das Schwungrad der faschistischen Erzählung an. Sie sehen in dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine ein Unternehmen zur Befreiung und, ja auch das, zur Entnazifizierung der Ukraine. Dabei übersehen sie absichtlich, dass, im Gegensatz zur Duma, in der Rada keine rechtsradikale Partei sitzt. Sie haben es allesamt nicht über die 3-Prozent-Hürde geschafft. Es gibt sie, die Nationalsozialisten und andere Rechtsradikale, in den Streitkräften (wo man das Asow-Bataillon übernommen hat, um es vom selbstbestimmten Agieren abzuhalten), es gibt sie wahrnehmbar in einzelnen Oblast. Insgesamt haben sie aber keine gesellschaftliche Basis.
Der Kampf gegen die Invasion aus Russland ist auch ein Kampf um bürgerliche Freiheitsrechte. Die junge Demokratie in der Ukraine, es gibt sie quasi erst seit 2019, hat sich, trotz des aufgezwungenen Bürgerkrieges im Donbass, gut entwickelt.
Richtig ist, dass die Regierung in Kiew nie besonderen Ehrgeiz gezeigt hat, das Minsker Abkommen über die sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donesk voranzubringen. Das lag u.a. daran, das mehr oder weniger in der Stunde der Unterschriften unter das Abkommen von Minsk, das eine Entwicklung zur Autonomie der sogenannten Volksrepublik bringen sollte, die bewaffneten Kräfte aus Luhansk und Donesk versuchten noch Geländegewinne zu erzielen und den Waffenstillstand brachen. Bei diesen beiden „Volksrepubliken“ war klar, dass diese Bewaffneten zu einem großen Teil aus russischen Soldaten ohne Hoheitsabzeichen bestanden.
Die Krim, die, wie die „Volksrepubliken“ 2014 in die Hände der Russen fiel, würde versucht die Annexion durch eine Scheinabstimmung zu legitimieren. Die Abstimmung war weder geheim noch allgemein und von Unregelmäßigkeiten begleitet.
Der Krieg, den Russland einseitig begonnen hat, muss beendet werden. Die Losung darf aber nur heißen: Frieden in Freiheit. Mit den Russen gibt es keine Freiheit, weil Russland eine Diktatur ist. Wer immer kapituliert: Ich hoffe, die gewählte Regierung wird es nicht sein. Denn sie wird dann als Auslandsregierung gebraucht. Und es sollte bei einer sich abzeichnenden Niederlage versucht werden, möglichst viele Soldaten samt Ausrüstung ins Ausland zu evakuieren. In etwa wie die französische oder polnische Exilregierung und -armee während der deutschen Besetzung im zweiten Weltkreig. Was der russische Machthaber wollte, der, wie ich meine, die Geschichte genau studiert hat, war eine tschechoslowakische Lösung. Und nachdem das gescheitert ist, strebt er möglicherweise eine Vichy-Lösung an. Das darf nicht gelingen. Der Widerstand muss bleiben.