Russland ist in die Ukraine einmarschiert und hat Teile des Donbass besetzt, jene Teile, auf denen sich die sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donesk befinden. Es gibt vielfältige Berichte aus diesen Gebieten. Die Rapporte lassen den Schluss zu, dass dort ein durch keine zivilgesellschaftlichen Institutionen kontrollierter de-facto-Staat durch Gewalt, Folter, Erschießungen und illegitime Verhaftungen regiert.

Die de-facto-Regierungen der Territorien verweigern internationalen Beobachtern ebenso, wie zeitweise die Instanzen der Regierung in Kiew, den Zugang zu den Gebieten (vergl.https://www.ukrinform.de/rubric-polytics/3277783-eu-fordert-russland-erneut-auf-der-oszemission-freien-zugang-im-donbass-zu-gewahrleisten.html) .
Die Berichte aus den sogenannten Volksrepubliken beruhen deshalb auf Augenzeugenaussagen. Es ist dementsprechend unklar, wie sich das Leben der Menschen in den Regionen konkret gestaltet.

Vor dem Einmarsch hat der russische Präsident in einer langen Rede seine Beweggründe für die militärische Intervention dargelegt. Eine Basis der militärischen Außenpolitik ist offenbar der Wille, Russland in den Grenzen der UdSSR von 1990 neu zu erschaffen. Es geht ihm dabei aber nicht etwa um die Auferstehung eines sozialistischen Staates, den er deutlich in der Rede verwirft, noch darum anderweitig an Lenin oder Stalin anzuknüpfen – auch ihre Politik nach innen und außen wird als fehlerhaft verworfen – sondern um die historische Größe, die zugleich auch Aufgabe sei. Es handelt sich also um raumfassendes Projekt mit imperialistischem Charakter.

Putin macht dabei deutlich, dass er den ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine und Georgien, wohl auch der Republik Moldau, das Existenzrecht abspricht. Ähnlich hatte sich der russische Außenminister Lawrow schon geäußert, der diese, nun souveränen, Staaten als „orphaned by the collapse of the Warsaw Treaty Organisation and the Soviet Union“ bezeichnete, also als verwaiste Gebiete.

Putins Rede besteht in ihrem Gemisch aus Drohung und historischer Herleitung jeden Lackmustest auf faschistischen Grundgehalt. Es drängt sich ein Vergleich mit der Taktik der deutschen Reichsregierung unter Hitler bei der Besetzung der Slowakei und von Tschechien auf, bei der ja zuerst auch das Sudetenland als Gebiet eines angeblich drohenden Genozids an der deutschen Bevölkerung ausgemacht wurde, welches befreit werden musste. Ihm folgten dann die beiden anderen Staaten, die als scheinautonomes Protektorat Böhmen und Mähren unter der Oberhauptschaft von Emil Hácha durch Reichsprotektoren regiert wurden.

Es wird, so meine ich, in dieser Rede schon eine neue faschistische Gefahr in Europa angedeutet. Noch mag es so sein, dass eine expansive Politik durch Sanktionen, vielleicht auch durch militärische Drohungen verhindert werden kann. Sollte es allerdings zu Halbherzigkeiten oder zu einer Appeasementpolitik kommen, halte ich die Entwicklung einer russischen Expansionspolitik unter faschistischer Agenda für nicht mehr abwendbar.

Für Linke bedeutet das eine Neuorientierung oder ein Sichverlieren in nationalbolschewistischen Verirrungen. Schon jetzt ist zu erkennen, dass es linken Kleinparteien an der Fähigkeit gebricht, die neue Lage zu examinieren. Der Blick nach Osten bleibt ein berückter. Als Nachfolger der Sowjetunion auf dem Platz der Geschichte wird Russland – kapitalisch, de facto eine gelenkte Scheindemokratie – für etwas gehalten, das es nicht ist. Diese Wirklichkeitsferne ist natürlich nicht auf Dauer ohne Schäden durchhaltbar und vielleicht auch nicht zu überleben. Die Analyseschwäche dieser Linken wird, nicht nur in Deutschland, die Linke schwächen. Wie stark kommt erstens darauf an, wie weit man die Russlandgetreuen in den Organisationen wirken lässt und zweitens auf ihre Stärke.

Natürlich ist die russische Politik nicht aus sich selbst heraus entstanden. Politiken sind dialektische Prozesse, selbstverständlich. Und so hat die Politik der NATO, u.a. der völkerrechtswidrige Eingriff in den innerjugoslawischen Krieg, haben die Lösung des Kosovos (unter Aufsicht internationaler Institutionen und nach einer Volksabstimmung) und die Nichtbeachtung der Souveränität Serbiens eine Grundlage geschaffen, auf die sich nun auch Putin berufen kann – und es auch tut. Die Ausweitung der NATO nach Polen, Ungarn und die baltischen Staaten hat zu einem starken Außendruck auf Russland geführt, der sich nun auch, neben anderen Kompulsionen, in der Faschisierung der russischen Politik Bahn bricht.

Es wäre besser gewesen, frühzeitig ein System von Check-and-Balance zu schaffen, weit über die ja etablierten Konsulationsgespräche hinaus. Nun ist es zu spät. Allerdings darf man den Unterschied zu Deutschland in den späten Zwanzigern und frühen Dreißigern des vorigen Jahrhunderts oder zu Italien vor dem Marsch der Schwarzhemden nicht vergessen: Es gab kein Abfallen einer Mehrheit in den Schlund der Demokratieablehnung, es gab gar keine Demokratie mehr in Russland. Der Wandel war ein Wandel in der Haltung der Staatsführung. Und so mag es sein, dass die jetzige Situation unausweichlich gekommen wäre.

Eine Linke, und eine LINKE, die sich Demokratie und Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, kann nicht an der Seite der Kremlführung stehen. Es braucht eine Neuausrichtung. Dass die nicht an die Seite der NATO führen kann und darf, ist ebenfalls klar. Aber sie muss sich öffnen für eine Debatte um eine europäische Verteidigungsgemeinschaft. Natürlich wird das jenen, die sich als Fundamentalpazifisten sehen, nicht gefallen. Mit Widerspruch und Einrede ist also zu rechnen. Und doch: es wird für die europäischen Staaten der EU nötig sein, sich nach allen Seiten zu sichern. Die Welt besteht ganz deutlich aus vier imperialen Zentren, aus USA, der EU, Russland und China und es ist nicht einsehbar, weshalb auf lange Sicht die Friktionen zwischen den USA und der EU nicht zunehmen sollten. Die Frage lautet, ob eine starke europäische Verteidigungsgemeinschaft ein zusätzliches Kriegsrisiko bildet oder ob sie im Gegenteil die Kriegsgefahr kleiner machen würde – zum Beispiel durch ihre starke Pufferfunktion. Es ist von klarer Notwendigkeit, dass die gesellschaftliche Linke sich an der Debatte beteiligt, ja vielleicht sie anschiebt.

Tagesaktuell aber ist es, nicht zu versuchen, die Expansionsgelüste Putins hinfort zu chamberlinisieren. Wer heute auf eine Politik setzt, wie Chamberlain sie gemacht hat, wird morgen wieder einen Churchill brauchen. Die Sanktionen müssen ebenso deutlich zu spüren sein, wie die zusätzliche Abkommen, zum Beispiel mit China. Ob all das am Ende verfängt, bleibt fraglich. Faschisten sind Getriebene.