Von Prof. Dr. Lutz Götze
Der Verfassungsschutzbericht, den Innenminister Seehofer vor wenigen Tagen vorgelegt hat, beweist es überdeutlich: Die Zahl der Gewalttaten, die dem rechten Spektrum zuzuschreiben sind, ist in der jüngsten Vergangenheit dramatisch angestiegen. Dazu gehören die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die Morde von Hanau und das Attentat in Halle. Umfang und Qualität der Verbrechen haben freilich noch andere Dimensionen: Über Polizeicomputer in Hessen wurden persönliche Daten prominenter Frauen- Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die Linken-Politikerinnen Janine Wissler, Anne Helm und Martina Renner sowie die Kabarettistin Idil Baydar- abgefragt und Hassbotschaften, unterzeichnet mit NSU 2.0, versandt. Inzwischen haben weitere Frauen, die im öffentlichen Leben stehen, Morddrohungen erhalten, darunter die Moderatorin Maybrit Illner.
Passend dazu wurde bekannt, dass der Bundeswehr seit Jahren über 60.000 Schuss Munition „ fehlen“ und zusätzlich in der „Eliteeinheit“ KSK 48.000 Schuss sowie 62 Kilogramm Sprengstoff „ abhandengekommen“ seien. Damit kann man eine Menge Unheil anrichten, wie jeder weiß.
Die Konsequenz der Politik ist immer die gleiche: Erst wird der Tatbestand geleugnet, dann das zugegeben, was ohnehin bekannt ist, sodann die Angelegenheit verharmlost und schließlich ein „ Bauernopfer“ gefunden: Im Falle der rechtsextremen Drohmails aus Hessen betraf das den Landespolizeipräsidenten Udo Münch, nicht aber den Verantwortlichen, nämlich Hessens Innenminister Peter Beuth ( CDU), der seinen Untergebenen in den einstweiligen Ruhestand versetzte, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Der Frage, ob Polizei – oder auch die Bundeswehr – von rechts unterwandert sei, weicht er, wie andere Politiker, aus
Als sei das alles noch nicht beunruhigend genug, mehren sich Stimmen aus dem rechten und rechtsextremen Lager, die die Gunst der Stunde nutzen und mit völkischen Parolen und Verschwörungstheorien Einfluss und Zustimmung unter den Massen zu gewinnen hoffen. Die intellektuelle Szene in Deutschland, über Jahrzehnte links bis links-liberal, denkt zunehmend national bis chauvinistisch. In Sachsen begann es mit PEGIDA, es folgten fremdenfeindliche Bekenntnisse gegen die Asylpolitik der Kanzlerin 2016 und die „ Gemeinsame Erklärung von 2018“, in der es hieß:
„ Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“
Einer der Unterzeichner dieses Appells war der Lyriker Jörg Bernig, der erst kürzlich, beim Rennen um die Besetzung des Kulturamtsleiterpostens der Stadt Radebeul, knapp gescheitert war. Nationaler und internationaler Protest hatten seinen Triumph glücklicherweise verhindert.
Von Bernig stammt noch ein anderes bemerkenswertes Bekenntnis. In seiner „ Kamenzer Rede“ von 2016 unter dem Motto des Aufklärers Immanuel Kant „ Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes ohne Anleitung durch einen anderen zu bedienen“ bekannte Bernig, ausgerechnet in der Geburtsstadt Gotthold Ephraim Lessings:
„In welche Hände ist unser Land geraten? Immer noch halten sich abertausende Migranten unerkannt in unserem Land auf. Es gibt Terroranschläge, es gibt Übergriffe auf Frauen und Mädchen, es zieht eine islamische Kleiderordnung auf Straßen und Schulen ein, die ein Ausdruck des Nicht-Dazugehören-Wollens ist….Die Bundeskanzlerin wiederholt….ihr Wir-schaffen-das. Wer ist ihr Wir? Und was will sie denn schaffen? Den Umbau der Gesellschaft? Den Eingriff in kulturelle Zusammenhänge? Die deutsche Gesellschaft ist gespalten, die europäischen Nachbarn haben sich von Deutschland angewandt. Der politisch-mediale Komplex verteidigt die Deutungshoheit mit Intoleranz und Aggressivität…Es geht um den totalen Umbau, um eine im obrigkeitsstaatlichen Duktus verfügte Umgestaltung unseres Gemeinwesens.
Das ist die Lage“.
Jörg Bernig ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. In dessen Stellungnahme vom Mai 2019 heißt es: „ Der deutsche PEN als Mitglied des Internationalen PEN wendet sich mit aller Schärfe gegen nationalistische Bewegungen, wie sie AfD, Pegida und ähnliche Gruppierungen vertreten. Derartige politische Formationen stehen den Grundüberzeugungen des PEN – Freiheit, Vielfalt, Solidarität – diametral entgegen. Laut unserer Charta, die jedes Mitglied bei Aufnahme in den PEN unterzeichnet, stehen wir für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit. Wir verpflichten uns, jedwede Form von Hass – wie etwa Rassen-, Klassen-oder Völkerhass, Hass aufgrund des Geschlechtes oder der sexuellen Orientierung- mit äußerster Kraft zu bekämpfen.“
Ein löblicher Spruch, doch folgenlos. Denn am Ende der PEN-Erklärung steht: „Vor diesem Hintergrund bitten wir Herrn Bernig zu prüfen, inwieweit er seine Verpflichtung gegenüber der PEN-Charta wahrnehmen kann, und ggfs. die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.“
Herr Bernig zog keine Konsequenzen, sondern beharrte dreist auf seiner Position und deren Übereinstimmung mit der PEN-Charta. Der PEN nahm es hin.
Es gibt in dieser Angelegenheit drei Handlungsmöglichkeiten: Zum einen Flagge zeigen und Bernigs Ausschluss aus dem PEN fordern, zum zweiten Bernigs Position unterstützen und, zum dritten, die Sache bagatellisieren. Alle drei Positionen sind im PEN Deutschland vertreten, das Präsidium neigt zum Herunterspielen. Immerhin soll, auf Antrag von Mitgliedern, auf der nächsten Mitgliederversammlung das Problem in Gänze diskutiert werden.
Ein Blick in unsere Vergangenheit zeigt, dass die Weimarer Republik-die erste deutsche Demokratie – am Versagen der politischen Mitte gescheitert ist, was sich die extreme Rechte-Hugenberg, Hitler und Konsorten-zunutze machte. Thomas Mann bekannte im Exil – zu spät -, dass man den Mann aus Braunau unterschätzt hatte. Ist es heute schon wieder so weit?
Bernig ist zu unbedeutend, um hier einen Vergleich anzustellen. Doch der intellektuelle Vorstoß der extremen Rechten während der letzten Jahre hat Folgen, wie die oben genannten schrecklichen Beispiele beweisen. Die Basis hat die Worte der Hassprediger verstanden.
Bertolt Brecht warnte die Nachgeborenen am Schluss seines Stückes „ Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“:
„ Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert/Und handelt, statt zu reden noch und noch./ So was hätt´ einmal fast die Welt regiert!/Die Völker wurden seiner Herr, jedoch/Dass keiner mir zu früh da triumphiert-/Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Die Worte sind heute aktueller denn je. Aus dem (Un-) geist der völkischen Barden wie Bernig, Kubitschek und anderen strömt das Gift, das Straßen und Plätze erobert und zur psychischen und physischen Gewalt wird. Gerade die Intellektuellen müssen deshalb entschieden dagegen auftreten, auch der PEN Deutschland. Äußerungen aus dem Präsidium der Art „Leute wie Bernig hält der PEN schon aus!“ sind hingegen wirklichkeitsfern und werden dem Ernst der Lage in keiner Weise gerecht.