die-autonomen« Komm’ zu den Autonomen, sonst verpasst du was ! » sang einst der autonome Liedermacher Yok Quetschenpaua. Seine Musik war damals, in den 90er Jahren, in der Szene sehr beliebt und keine Demo kam ohne seine Songs « Qdamms burning » oder « Lieselotte Meyer » aus. In dem von Klaus Farin herausgegeben Band über die Autonomen taucht sein Name nirgends auf.

Das ist allerdings nicht der einzige Kritikpunkt an dem vorliegenden Band. Bereits der Versuch, « die » Autonomen unter dem Aspekt einer Jugendbewegung zu beleuchten, mag Bedenken hervorrufen. Die Einordnung der Autonomen als eine Jugendbewegung wird von Farin in seinem Vorwort mit den Argumenten begründet, dass sie vom Verfassungsschutz – ohne Hinweise auf die empirische Basis – in der Altersspanne von 15 bis 30 Jahren. Verortet werden und die Szene stark jugendkulturell geprägt ist. Dementsprechend sind die Interviews auch ausgerichtet.  
 
Der Band entwickelt sich in manch einem abgedruckten Interview zu einer regelrechten Farce. So wird in diversen Intervews « Autonomen » die Frage gestellt, wie wichtig ihnen Tätowierungen sind oder was ihr Traumberuf ist. Grundlegende politische Positionsbestimmungen werden den Gesprächspartner nur in den seltensten Fällen abverlangt. Die Interviews mit (Ex-)« Autonomen » zwischen 17 und Ende 50 machen den Hauptteil der Arbeit aus. Sie wurden von unterschiedlichen Mitarbeitern geführt und weisen manch einen Patzer auf. Eine Gesprächspartnerin wird mit der Beschreibung « eine sehr hübsche junge Frau » (S. 187) qualifiziert, über einen anderen Interviewten erfährt man: « Björn ist nicht viel grösser als ich » (S. 155) und über einen Gesprächspartner heisst es: « Er sieht aus, wie ein Punk aussehen sollte (…) Während des Interviews trank er sechs Bier. »  (S. 225). Nicht viel intelligenter als die Interviewer sind die 20 interviewten « Autonomen ». Bei den meisten GesprächspartnerInnen fragt man sich, aus welchem Obskuritätenkabinett sie entflohen sind – lediglich Michael Wildenhain (« Zum Beispiel K. ») und Wolf Wetzel (« Häuserkampf I ») scheinen wirklich etwas Substanzielles zum Thema beisteuern zu können.

Über die Auswahl der Interviewten an sich  wird leider keine Aussage getroffen, was schon von einer gewissen Brisanz ist. Schliesslich ist die autonome Szene nicht unbedingt eine Szene, deren Mitglieder gerne szenenfremden Medien und Personen Interviews geben.  

Das Vorwort an sich weist darüber hinaus einige Schwächen und Ungenauigkeiten auf. In groben Zügen umreisst er auf 20 Seiten die Ursprünge und Entwicklung der Bewegung sowie deren Fixpunkte wie die Gewaltfrage, das Thema Sexismus oder die Trennung von Antiimps und Antideutschen (ohne auch nur einmal die « Bahamas » zu erwähnen). In Bezug auf die Entstehung verweist er zwar auf die italienische Bewegung  « Autonomia Operaia », aber er verweist nicht darauf, dass sich diese Bewegung ursprünglich rund um eine kommunistische Zeitschrift gruppiert hat, was für den Diskurs und die Bedeutung von Medien für die Bewegung einen wichtigen Aspekt ausmacht. Der markante Kampagnen-Charakter der autonomen Politik wird von Farin weitgehend ignoriert und spielt auch in den geführten Interviews keine Rolle. Der « multi oppression »-Ansatz, der schon langer Zeit den tripple oppressions », Ansatz abgelöst hat, wurde auch von ihm nicht zur Kenntnis genommen.     

Es gibt auch noch eine ergänzende « Medienanalyse » der Autonomenpostille « radikal », die sich als eine Wiedergabe der Schwerpunkte der Zeitschrift im Laufe der Zeit entpuppt – ohne auch nur irgendwelche Sekundärliteratur zu frequentieren oder die Inhalte näher einzuordnen, sowie fünf « Experteninterviews » – u.a. mit Uwe Backes (Extremismusforscher), Felix Krautkrämer (Politikredakteur der « Jungen Freiheit »), Wolf-Dieter Narr (Prof. em. für Politikwissenschaft an der FU Berlin). Was den Redakteur der rechtsradikalen Wochenzeitung « Junge Freiheit » zu einem Experten zum Thema « Autonome » macht, bleibt ein Geheimnis von Klaus Farin. In diesem Kontext wäre ein Interview mit einem Polizisten gegebenenfalls von Interesse gewesen. Der vorliegende Band entspricht leider weder dem eigenen, hohen Anspruch noch denen einer wissenschaftlichen Arbeit.  In der vorliegenden Form ist es einfach nur ärgerlich…

Nach wie vor sind die beiden Bände « Feuer und Flamme » (ID Edition) und « Glut und Asche » (ID Edition) von Geronimo aus autonomer Sicht und das von Thomas Schultze und Almut Gross verfasste Buch « Die Autonomen. Ursprünge, Entwicklung und Profil der autonomen Bewegung » (konkret Buchverlag) Standardwerke und bleiben es wohl auch noch eine Weile….

Maurice Schuhmann

Klaus Farin: Die Autonomen, Verlag Archiv der Jugendkulturen Berlin 2015, 386 S., ISBN: 978-3943774399, Preis: 28 €.