Schon auf den ersten Blick stellt sich dieser alte Satz nicht nur als lebendig und unvollständig vor, sondern geradezu als modern. Er korrespondiert mit gern gehörten Sätzen, wie „Bin U-Bahn“ oder „Geh zu Hause“. Ein solcher Satz überlebt die Zeiten durch seine dauerhafte Modernität.
Dennoch vermag er uns mit Informationen geradezu zu überschütten. Der Sprecher* will etwas haben, nämlich Ruhe. Sein Gegenüber hat diese Ruhe offenbar zu bieten, denn der Sprecher fordert ihn auf, sie ihm zu geben: „GIB Ruhe“. Dabei scheint es dem Sprecher egal zu sein, um welche Art von Ruhe es sich handelt, er spezifiziert sie nicht näher, sondern, diesen Eindruck erweckt er, ist willig sowohl runde, als auch viereckige, kleine, wie große Ruhen entgegenzunehmen, so man sie ihm nur geben möge.
Präziser äußert sich der Sprecher in Mundart (bayr.): „Gib a Rua“ schränkt die Anzahl der gewünschten Ruhen ein. Er will nur eine Ruhe, wenn es ihm auch, gleich dem hochdeutschen Sprecher, egal ist, welcher Beschaffenheit diese nun sein möge. Er scheint geradezu darauf zu bestehen, nicht mehr als eine („a“) Ruhe zu erhalten. Zwei, drei, gar ein Dutzend Ruhen lehnt er ab, er will sich bescheiden.
„Gib Ruhe“ (oder „Gib a Rua“) ist ein Satz von hoher syntaktischer Qualität. Die klare Aussage („gib“) hinsichtlich des Handeln und die Klarheit um was es ganz eigentlich geht („Ruhe“), wird nicht durch verwirrende zeitbezogene oder auf wiederkehrende Handlungen gerichtete Einsprengsel minimiert. Auch wird hinsichtlich der Ruhe in einer überaus toleranten Weise dem Gegenüber die Entscheidung überlassen. Es wird keine Waldesruhe (vgl. Namen von gastronomischen Einheiten in bebäumten Gebieten) oder Grabesruhe (vgl. Friedhofseigenschaften) verlangt. Jede Ruhe tut es.
*Hier kann genderkonform jede Form eingesetzt werden …
Und beim nächsten Mal wenden wir uns der schönen Formulierung: „Mach mal hin“ zu.