Die Falken bedürfen der Falken. Jene in Teheran derer in Tel Aviv. Die in Moskau jene in Washington. Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran, der nun zu einer ersten Entladung geführt hat, ist ohne Blick auf die Innenpolitische Situation in beiden Ländern gar nicht zu verstehen.
Es gibt im Iran eine starke Bewegung gegen die Überregierung der Mullahs, den Wächterrat und für eine Neuausrichtung des Staatsaufbaus hin zu einer echten Demokratie. Es gibt zugleich gärende Widerstände gegen die Sozialpolitik der rechts-rechtsradikalen israelischen Regierung. Ein Konflikt nach Außen schafft im Inneren genau jenes Gefühl von Zusammenstehen, dass die Mullahs zum Machterhalt brauchen und das Netanjahu für das Kleinhalten des Konfliktes in Israel benötigt.
Aber natürlich lässt sich der Konflikt nur zu einem Drittel aus diesen Beweggründen erklären. Zwar ist offensichtlich, dass ja nicht reguläre iranische Truppen die Golanhöhen beschossen haben, und selbst dann von der IDF beschossen wurden – es waren die Eliteeinheiten der Revolutionsgarden, die dem Wächterrat, genauer: dem Revolutionsführer Chamenei, unterstehen –, aber das ist eben nicht alles. Das andere Merkmal dieses Konfliktes ist der Wunsch von starken Teilen der iranischen Führung und der iranischen Freunde in der Region Israel von der Landkarte zu tilgen. Allerdings steht, aus vorgeblich religiösen Gründen, der Iran in Konflikt zu den sunnitischen Staaten der Region, also fast allen. Daraus wiederum könnte, bei geschickter Verhandlungsführung und unter der Voraussetzung, dass alle profitieren eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Israel und den sunnitischen Staaten entstehen. Nicht mit allen sicherlich, aber mit einigen gewichtigen. Die Änderung der Überflugregelungen in Saudi-Arabien weißt darauf hin. Bislang verwehrte der klerikalfaschistische Staat den Flug übers eigene Territorium, wenn das Ziel in Israel lag.
Über die Region hinaus greift das Drittel der Weltmächte. Russland, die USA (und kurz- bis mittelfristig China, aber auch die EU) begreifen die Region Mittlerer Osten als Ankerstein ihre globalen Interessen. Das gilt für Militärstützpunkte, wie für Energietrassen und die Förderung von Bodenschätzen. Und sie begreifen sie, aus ihrer imperialistischen Interessenlage heraus, zurecht so. Wer den Mittleren Osten beherrscht, beherrscht den Übergang zwischen Europa und Asien, beherrscht die dortigen Rohstofflager und große Teile des Mittelmeeres und das Arabische Meer.
Die Türkei ist dabei in einer Art Gefangenschaft aus Hybris (sie will Großmacht sein, zumindest regionale) und geografischer Lage. Russland ist die Macht im Raum des Schwarzen Meeres. Es ist für die Türkei in der Bedrohung unerheblich, ob auf der Südseite Vasallen der USA oder Russland stehen. Entweder sie gerät als Fremdkörper zwischen umgebenden russischen Interessen unter Druck, oder sie befindet sich im direkten Spannungsverhältnis zwischen den USA und Russlands. Das aber macht die Situation noch gefährlicher. Denn die einzige Möglichkeit aus dieser Lage herauszukommen ist in der Tat der Hybris zu folgen und zum regionalen imperialistischen Zentrum zu werden. Das geht nur dann, wenn Syrien weder zum Block der USA kippt, noch im Block Russlands verbleibt. Das daraus erwachsende Konfliktpotential ist enorm.
Das Verhältnis der Türkei zu Israel kann sich dabei für eine Zeit lang normalisieren, aber nicht auf Dauer. Da sich Israel, aus historischen Gründen, Europa und der USA verbunden fühlt wird es immer ein Problem aus türkischer Sicht darstellen. Zwar destablisiert die israelische Politik zur Zeit die Kräfte auf Assads Seite in Syrien, was der Türkei nützt, aber auf Dauer wird Israel nicht das Risiko eingehen einen fundamentalistischen Staat an seiner Seite zu dulden. Die Destabilisierung zielt ja auch nicht auf die Truppen der syrischen Regierung, sondern der Hisbollah und des Wächterrates.
In dieser Gemengelage reicht ein Streichholz um einen Flächenbrand zu entfachen. Und der wird nicht auf Syrien beschränkt bleiben, weil er zum Anlass genommen werden wird die Ausrichtung der ganzen Region zu bestimmen. Von der russischen bis zur pakistanischen Grenze käme die schon unruhige und von mörderischen Konflikten heimgesuchte Region ganz auf die Bahn des Krieges, der dann zwar regional beschränkt, aber dennoch ein neuer Weltkrieg wäre.
Es ist die Aufgabe der europäischen Politik zu tun, was getan werden kann, um zu verhindern, dass die Situation eskaliert. Dabei sind die Wirkmöglichkeiten gen Westen, also auf die USA, größer als auf Russland. In Richtung der Vereinigten Staaten muss Druck ausgeübt werden. China, mit dem man sich eng abstimmen sollte, muss seinerseits auf Russland einwirken. In der jetzigen Situation ist es, das sei abschließend bemerkt, ja auch möglich, dass die Leitimperien zukünftig China und EU heißen, weil sich die USA als Vertragspartner unglaubwürdig macht und Russland nicht genug Stärke entwicklen kann.