Lockdown 2020

Trotz des reißerischen Titels des Sammelbandes – „Lockdown 2020. Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern“ – wollte ich dem Promedia-Verlag, von dem ich bislang keine schlechte Meinung hatte, eine Chance geben – u.a. weil mir Peter Nowak eine Rezension des Bandes ans Herz legte sowie eine (qualitative) Analyse des Lockdowns aus linker / linksradikaler Perspektive Not tut. Den Untertitel, der eher für einen Buchtitel des Kopp-Verlages als für einen seriösen Verlag geeignet wäre, habe ich dabei gewissentlich überlesen.

Die Herausgeber Hannes Hofbauer und Stefan Kraft selber schreiben: „Demonstrationen gegen diesen Ausnahmezustand werden von den herrschenden Kreisen als große Gefahr eingeschätzt und TeilnehmerInnen als VerschwörungstheoretikerInnen gebrandmarkt“ (8). Erstaunlicherweise springt auch Peter Nowak in die Bresche und zieht eine sprachliche Verbindungslinie zwischen Holocaust- und Coronaleugner*innen. „Es ist schon bemerkenswert, dass nun auch die Leugnung einer Krankheit Gegenstand für antifaschistisches Handeln sein sollte. Der Begriff Coronaleugner ist auch deshalb zu hinterfragen, weil er sicher nicht zufällig an den Begriff Holocaustleugner anknüpft, der unter Strafe und gesellschaftlicher Ächtung steht“ (157). Hier möchte man ihm widersprechen, aber gut…

Leider bewegt sich der Sammelband auf jenem Niveau, wie es der Untertitel schon unterschwellig andeutet – es werden eine Reihe von Verschwörungstheorien bedient, die partiell an „strukturellen Antisemitismus“ grenzen. Man ist fastversucht „Bullshitbingo“ zu spielen. Spätestens, wenn Hannes Hofbauer und Andrea Komlosy schreiben: „Zur Durchsetzung von globalen Test- und Impfprogrammen haben Gates & Co. Ein Netz aus Gesundheitsorganisationen, Politik und Medien geflochten, das nun seiner ökonomischen Ralisierung harrt.“ (84) sind alle Grenzen überschritten. Einzelne Autoren mutmassen – nein, behaupten –, dass der Virus bewusst für eine Transformation des Kapitalismus von „den [omniösen] Herrschenden“ eingesetzt wird; andere prophezeien unterschwellig, dass uns eine Impfpflicht droht. Bei einem Blick ins Autor‘*innenverzeichnis wird einiges deutlich. Gleich bei dreien wird die Mitarbeit bei der wegen Querfronttendenzen sehr umstrittenen Website Rubikon, der eine Nähe zu KenFM nachgesagt wird, in der Kurzvita erwähnt. Weiterhin wurde auch ein Beitrag direkt von deren Homepage übernommen. Sieht man einmal davon ab, was eigentlich nicht geht, zeigt sich auch, dass vieles veraltet und überholt ist. Der angebliche Einfluss von Bill Gates auf die WHO wurde wiederholt in qualifizierten Medien auseinandergenommen, die Fixierung auf R-Werte wurde auch schon in (fast) allen Massenmedien von Spiegel, über Zeit bis zum Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk problematisiert und auch die unterschwellige Behauptung, dass die Pandemie die Grundlage für ein neues Ermächtigungsgesetz sei, ist längst widerlegt. Zwischendurch gibt es zwar auch ein paar relevante Beiträge – wie z.B. den von Andrea Komlosy, Jochen Krautz oder vom Chuang-Blog, der bereits auf dem Blog der linkskommunistischen Wildcat abgedruckt wurde. Diese Zweitverwertungen machen gut 20% des Sammelbandes aus. Alles in allem ein echtes Armutszeugnis, was angeblich linke Autor*innen hier verzapft haben. Vor dem Hintergrund ansonster z.T. guter und wichtiger Publikationen des Verlages ist dieser Sammelband hoffentlich nur ein (einmaliger) Ausreisser.

Maurice Schuhmann

Hannes Hofbauer / Stefan Kraft (Hg.): Lockdown 2020. Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern, Promedia Verlag Wien 2020, ISBN: 978-3853714737, 280 S., Preis: 19,90 €.