erophil-logoDie Konstruktion des Anderen in der Erotikliteratur

Seit jeher bilden die Exotik und Phantastik einen wichtigen Bestandteil der erotischen Literatur. Orientalische Harems, exotische Inseln mit für europäische Gemüter unglaublichen sexuellen Riten & Sitten, aber auch fremde Welten in der Science Fiction-Literatur und mystische Gestalten wie Hexen und Vampire bilden den Rahmen für Klassiker der erotischen Literatur. Autoren konnten dabei auf einen ausgedehnten Fundus von volkstümlichen Sagen und fiktionalen und non-fiktionalen Kulturbeschreibungen zurückgreifen. Neben dem expliziten Reiz des Fremden und Geheimnisvollen beinhalten jene Orte und Personifikationen eine große Projektionsfläche für die Konstruktion des Anderen. Einerseits bedeutete der Kontakt mit außereuropäischen Körperkulturen eine Erweiterung europäischer Sexualvorstellungen, und die Verlagerungen des fiktionalen Geschehens in andere Welten bot die Möglichkeit, eine Kritik repressiver Sexualmoral der eigenen Gesellschaft und Utopien einer befreiten
Gesellschaft zu formulieren, wie es z.B. der Marquis de Sade wiederholt tat, um seine libertinen Phantasien einem gesellschaftlichen Diskurs mit Rekurs auf die Legitimität entfernter kultureller Praxen zu öffnen. Andererseits können sie rassistische und biologistisch-geschlechtliche Stereotype beinhalten, die sich sowohl offen über die Konstruktion von monströsen-übernatürlichen Verkörperungen in Figuren à la Graf Dracula  als auch versteckt in eigenkulturell geprägten Zuschreibung gegenüber Bevölkerungsgruppen und Nationen artikulieren.
Anhand der Konstruktion des Anderen sollen jene Grenzüberschreitungen europäischer Erlebnishorizonte und Utopien, aber auch Zuschreibungs- und Unterdrückungsmechanismen sowie Bedrohungsszenarien in der Erotikliteratur von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit thematisiert werden. Es geht darum, Facetten der genannten Themenkomplexe innerhalb der Genres auszuloten und in einem gesellschaftlich-zeitgeschichtlichen Diskurs zu verorten. Dabei ist auch der Raum für die Einbeziehung angrenzender Genres und narrativer Medien gegeben, in denen die Erotik eine bedeutende Rolle einnimmt.
Diese Zugänge sollen im Zuge einer zweitägigen, parallel zur erophil – internationales Festival für erotische Literatur – laufenden Fachtagung am 30. und 31. Oktober 2010 in Berlin diskutiert werden. Ein interdisziplinärer und internationaler Austausch von WissenschaftlerInnen, AutorInnen und VerlegerInnen wird angestrebt.  Bei der Auswahl der ReferentInnen wird auf die Förderung von NachwuchswissenschaftlerInnen Wert gelegt.

Potentielle Forschungsfragen wären:
– Wie gestalteten sich Rezeptionsmodi fremder Kulturen innerhalb der europäischen Gesellschaft und Literatur? Wie verliefen Übersetzungs- und Editionsgeschichten einzelner Stoffe, Motive und Figuren außereuropäischer Imaginäre im Wandel der Zeit sowie in unterschiedlichen europäischen Ländern und narrativen Medien im Vergleich? Welche Horizonterweiterungen erfuhr das zeitgenössische europäische Erotikleben durch Kulturkontakte mit der außereuropäischen Welt?
– Welche rassistischen und kolonialen Klischeevorstellungen werden in der  klassischen , mittelalterlichen und modernen Erotikliteratur? In welchen Konstruktionen vollziehen sie sich? Auf welche Art und Weise gestalten sich Brüche gängiger Klischeevorstellungen in der Literatur? Welches Wissen über Erotik wird in den Texten gespiegelt?
– Welche Auswirkungen haben die gesellschaftlichen Diskurse auf den Wandel der Erotikliteratur gehabt? Und vice versa: Welche Auswirkungen hat die Rezeption von Erotikliteratur auf den gesellschaftlichen Wandel gehabt? Inwieweit kann Erotikliteratur heutzutage noch ein Potential zur Befreiung und Differenzierung sexueller Phantasien und Praxen darstellen?
– Welchen Einfluss hat das oft proklamierte Ende der Utopien auf die Entfaltung der Erotikliteratur? Welche Potentiale hat die Erotisierung der Science Fiction-Literatur diesbezüglich?
– Welche Geschlechterbilder manifestieren sich in der Konstruktion des Anderen? Inwieweit werden aber auch gängige Geschlechterbilder unterhöhlt?
Die Deadline für die Abstracts (ca. 200 Wörter) ist der 1. März 2010.  Unsere Rückmeldungen erfolgen bis zum 15. März 2010. Die Tagungssprache ist deutsch. Erstattung von Reise- und Unterbringungskosten erfolgt unter Vorbehalt einer finanziellen Förderung der Tagung.  Eine Veröffentlichung der Beiträge in Form eines Tagungsbandes ist geplant.

Die Tagung findet im Rahmen der erophil – internationales  Festival für erotische Literatur in Berlin statt. Dementsprechend setzt sich das Publikum neben FachbesucherInnen und WissenschaftlerInnen auch aus einem interessierten Laienpublikum zusammen. Die ReferentInnen werden um eine Berücksichtigung dessen bei der Vorbereitung ihrer Beiträge gebeten.

Informationen zur erophil und der letztjährigen Konferenz : www.erophil.de
Kontakt & Koordination: Maurice Schuhmann & Agnieszka Sommer