Im wichtigen Alibri-Verlag ist ein kleines Büchlein erschienen, welches ich, um es gleich zu sagen, für ausgesprochen wichtig erachte. Und weil es sich nicht um Belletristik handelt, sondern um ein biografisches Sachbuch, werde ich Ihnen auch Hinweise zum Inhalt liefern. Und das unterlasse ich ja sonst mit Vorsatz.

Yahya Ekhou, der 1990 in Mauretanien, dem Land hinter dem Meer, geboren wurde, schildert auf gut einhundert Seiten in eindringlicher, ruhiger – und deshalb um so intensiverer – Weise seinen Weg: Von der Kindheit in einem Land mit Kastensystem, Sklaverei, ständiger religiöser und staatlicher Drangsalierung, voller Aberglaube und schlechter Traditionen, bis nach Deutschland.

Mauretanien ist ein Land, das, anders als Algerien oder Marokko, weitgehend unbekannt ist. Ein islamistischer Gewaltstaat, in dem die Scharia herrscht, in dem Frauen aus der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen sind, wie sonst nur in Afghanistan und in dem Apostaten (Apostaten sind Personen, die sich von ihrem bisherigen Glauben lossagen) unerbittlich und ohne Aussicht auf Umwandlung in eine Haftstrafe der Exekution unterliegen (Artikel 306 des Strafrechts Mauretaniens). Es ist ein Land, das in seiner Staatsphilosophie offensichtlich und mit Wollen einem frühen, ja mittelalterlichem, Weg folgt. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im Mai 2010 über einen Bericht der mauretanische Anti-Sklaverei-Organisation „SOS Esclaves“. Danach soll es zum damaligen Zeitpunkt 600.000 Sklav:innen gegeben haben. Da die Sklaverei, wie das Stammeswesen und mit ihm das Kastendenken fest in die Gesellschaft eingewebt scheint, nützt es auch nichts, dass sie, die Sklaverei, nunmehr unter Strafe gestellt worden ist. Offenbar gibt es kaum Polizeiposten, die sich bei Hilfsersuchen auf die Seite der Sklav:innen stellen.

Aus dieser Umgebung heraus hat Yahya Ekhou seinen Weg in eine atheistische Weltsicht hinein gefunden. Ekhou stammt aus einem hochstehenden Stamm, ihm wäre eine mauretanische Karriere als Iman vorbestimmt gewesen. Es waren (wie schön ist das!) Bücher, die ihn, quasi, aus dem Mittelalter in die Neuzeit beförderten. Vom Islamismus, der bei dem Jungen nicht gefestigt sein konnte, wagte Ekhou den Schritt zur Beschäftigung mit Wissenschaft und Philosophie. Von der Vorbestimmtheit der Schicksale und Leben zu Freiheit und Selbstbestimmung.

Die Wende wurde offenbar endgültig durch die Aufnahme eines Studiums in Ägypten. Dieser Staat, der ja vom hiesigen Hügel aus gesehen, kein freier Staat ist, war für ihn ein Hort der Freiheit, denn Yahya Ekhou kam, so darf ich sagen, aus der Dunkelzelle in den Gefängnishof. Seine, wegen einer Passverlängerung (Mauretanien schreibt vor, dass Passverlängerungen nur im Lande selbst vergenommen werden dürfen) notwendige Rückkehr in sein Herkunftsland, führte ihm den Unterschied erneut vor Augen. Die Verfolgung und Verhaftung, nachdem er eine Organisation mit der Bezeichnung „Liberales Netzwerk“ in Mauretanien gegründet hatte, veranlassten ihn, nach Europa –  nach Deutschland – zu fliehen.
Sein Leben war konkret bedroht. Nicht nur durch den Artikel 306 des mauretanischen Strafrechts allein, sondern auch durch private Akteure. Gerettet hat ihn die Einladung zur Jugendkonferenz der Vereinten Nationen in Deutschland. Hier stellte er einen Asylantrag, der jedoch in der ersten Instanz abgelehnt wurde. Der derzeitige Status ist mir nicht bekannt.

Seine anfängliche Lebenssituation in den Flüchtlingsheimen im Osten Deutschlands brachte neue Gefährdungen. Mehrfach sah er sich, durchaus lebensbedrohlichen, Angriffen durch islamistische Gewalttäter ausgesetzt. In einem Flüchtlingsheim nahe der polnischen Grenze hat man die Angriffe, u.a. mit Waffen, offenbar unter den Teppich gekehrt. Mit der Hilfe von deutschen Freunden gelang es ihm, aus dem Heim herauszukommen.

Das Buch gibt uns also nicht nur einen Einblick in eine Welt, die sich ganz und gar von der unseren unterscheidet, sondern zeigt auch die Probleme auf, die hier bestehen. Die Bedrohungsszenarien für atheistische Flüchtlinge aus moslemischen Staaten, die Schwierigkeiten, die Menschen auch hier haben, wenn sie ihre und insbesondere die moslemischen Religionen verlassen wollen, dürfen nicht beiseite geschoben werden. Es braucht mehr Mittel und vor allem mehr Sensibilität bei den Ausländerämtern, es braucht aber auch mehr Möglichkeiten Menschen, insbesondere jungen Frauen, die Abkehr von religiöser und familiärer Bevormundung und Unterdrückung zu ermöglichen, auch mit dem Schutz von Leib und Leben durch Namensänderungen, verdeckten Adressen und mit Polizeischutz.

Ich empfehle unbedingt, das Buch im Unterricht zu verwenden und zu den Ressourcen der schulischen Unterrichtsmaterialien hinzuzufügen.

Yahya Ekhou, Freie Menschen kann man nicht zähmen, Alibri, ISBN 978-3-86569-369-3, 106 Seiten, 10 €