Nein, an dieser Ehrung gibt es nichts zu kritisieren. Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels geht zurecht an Svetlana Aleksievič. Sie hat, und das ist ihr Verdienst, immer wieder und mit Akribie eine Realitätsebene der sowjetischen Gesellschaft und ihrer Nachfolgegesellschaften geliefert. Die umfassenden Recherchen, die vielen Interviews, die sie zu ihren Büchern geführt hat – sie machen aus ihrer Literatur mehr, als nur die Kolportage von Befindlichkeiten. Aleksievič beleuchtet jene Ausschnitte des menschlichen Seins, über die sie schreibt, mit hellem Licht.
Aleksievič studierte in der Sowjetunion Journalistik und arbeitete für mehrere Zeitungen. Mehrfach wurde sie für ihre Arbeiten ausgezeichnet.
Ihre Arbeiten über Krieg („Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“, deutsch 1987 und „Zinkjungen“, deutsch 1992) bieten einen Blick in die Rote Armee während des Großen Vaterländischen Krieges und des Afghanistan-Einsatzes.
Von 1983 bis 1985 waren ihre Bücher in der Sowjetunion verboten. In Weißrussland sind sie es noch. Sie ist damit ein Beispiel für die Widersetzlichkeit gegen Zensurmaßnahmen und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Auch das ist ein Verdienst, der allerdings versus Inhalt und Qualität nur eine Nebenrolle spielen darf bei einer Preisverleihung, wie dieser. In der politischen Realität aber dreht sich das: es ist das Ringen um die Freiheit des Wortes und damit um die Teilhabe an gesellschaftlicher Entwicklung, der der Diskurs vorausgeht, welche die erste Geige im Orchester der Freiheitsrechte spielt.
Die Antikommunisten, die der realexistierende Sozialismus selbst geschaffen hat, und die aufgrund von Schuldunfähigkeit nicht unter das Verdikt Thomas Manns fallen, sind Legion. Mir scheint es allerdings so zu sein, als könne man Svetlana Aleksievič nicht in diese Gruppe einreihen. Ihre Aufgabe war ihr, das zu schildern was sie sah. Die differenten Blicke auf die Wirklichkeit, der Realismus, der zeigt, dass sich Realität ganz unterschiedlich darstellen kann, ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit – und zwar gänzlich unabhängig von der Gesellschaft. Das Verbot ihrer Bücher für zwei Jahre in der UdSSR sind ein Zeichen für das Verlassen des Staatsfundamentes durch den Staat. In Weißrussland stellt sich der Fall allerdings als despotische Hilflosigkeit dar.
Das Börsenblatt des deutschen Buchhandels schreibt zur Preisverleihung in seiner Online-Ausgabe heute: „Für ihr Gesamtwerk, das sich mit dem Buch „Second-Hand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus“ (erscheint im September 2013) wie eine fortlaufende Geschichte Russlands seit dem Weltkrieg liest, hat Alexijewitsch ihre eigene literarische Gattung, den „Roman der Stimmen“ kontinuierlich ästhetisch weiterentwickelt. Mit dieser Herangehensweise einer emotionalisierten Geschichtsschreibung ist sie zum moralischen Gedächtnis für die Menschen in den ehemaligen sowjetischen Staaten geworden.“ Dem ist, bei aller Kritik, den es an den Positionen, die eingenommen geben mag, nichts hinzuzufügen.
Und so bleibt zu fordern, was weltweit und überall gefordert werden muss: Die Freiheit des Wortes.
Die Schriftstellerin lebte mehrere Jahre im westeuropäischen Exil, 2012 kehrte sie nach Minsk zurück.
Foto: Szenebild aus “Gespräche mit Lebenden und Toten”. Fotograf: Yann