195px-Child-soldier-afrikaGelnhäuser Erklärung zu Literatur und Frieden

„Wahrheit wird niemals durch Gewalt widerlegt“ Erich Fromm
– Zum äußeren und inneren Frieden –
Schriftstellerinnen und Schriftsteller scheinen oft ohnmächtig in ihrem Wirken, wenn in großen und kleinen Kriegen Menschen leiden, bis in den Tod. Doch trotzdem haben sie immer wieder das Wort für den inneren und äußeren Frieden ergriffen, vor, während und nach Kriegen.
So unterschiedliche Schriftsteller wie Wolfgang Borchert, Dorothee Sölle und Heinrich Böll haben gezeigt, dass das Engagement gegen Kriege und für Frieden nicht beim gesprochenen oder gedruckten Worten endet. Böll und Sölle zum Beispiel saßen mit vielen anderen vor den Toren der US-amerikanischen Militäranlage Mutlangen, um gegen die Stationierung von Atomraketen zu demonstrieren. Der vom 2. Weltkrieg schwer gezeichnete junge Wolfgang Borchert nutzte jede Gelegenheit, auch außerhalb seines literarischen Schaffens, NEIN zu sagen zum alles Menschliche verachtenden Krieg.
Deutschlands Kriegsherren haben von der Einigung des Reiches bis zum 2. Weltkrieg in kaum darstellbarer Dimension Kriegsgeschichte geschrieben. Doch immer haben auch mutige Männer und Frauen in Wort und Schrift NEIN gesagt, weil sie eine friedvolle und lebenswerte Welt anstrebten. In ihrer Tradition stehen wir Wortschöpfer, mit ihnen erheben wir unsere Stimme in dieser Erklärung des Verbands deutscher Schriftsteller (VS).
Erinnern will der VS auch an den großen Schriftsteller des 17. Jahrhunderts Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, den berühmten Sohn der Stadt Gelnhausen. Er war selbst Soldat im schrecklichen Dreißigjährigen Krieg, der halb Europa verwüstet und Millionen von Menschen in ihrer Existenz vernichtet hat. Grimmelshausen hat die Schrecken und Gräuel dieser Zeit unmittelbar erlebt. Er legte die Waffen nieder und griff zur Feder, um Zeugnis abzulegen, was Menschen anderen Menschen antun können. Die Quintessenz seines Werkes formuliert er im ‚Satyrischen Pilgrim` von 1666 mit folgenden Worten: „Ich gestehe gern, daß ich den hundersten Theil nicht erzählet was der Krieg vor ein schreckliches und grausames Monstrum seye, dann solches erfordert mehr als ein gantz Buch Papier…“
 
Das Ende dieses ersten großen europäischen Krieges kam mit dem Frieden von Münster und Osnabrück im Jahr 1648. Dort, in Osnabrück, wurde 250 Jahre später Erich Maria Remarque geboren, der mit seinem berühmten Antikriegs-Roman über den 1. Weltkrieg und weiteren pazifistischen Werken für den Frieden und gegen Krieg und Faschismus eintrat. Als schädliches und unerwünschtes Schrifttum wurden seine Werke verboten und 1933 mit denen anderer für eine humane Welt eintretenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern auf den Scheiterhaufen der Nazifaschisten verbrannt.
 
Vor beiden Weltkriegen haben sich Schriftsteller, Journalisten und Lehrer von den Herrschenden zur Kriegspropaganda missbrauchen lassen. Nicht gering war die Zahl derer in den Reihen der schreibenden Zunft, die sich dazu hinreißen ließen, Militärlehrbücher in literarischer Verkleidung zu schreiben und Hetzartikel zu verfassen.
Antikriegswirken ist es deshalb auch, die Voraussetzungen des Kriegs und seine Folgen, seine Wirkungen im Alltag der Menschen schonungslos aufzudecken, was viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Ernst Barlach, Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Heinrich Böll, Anna Seghers, Christa Wolf – um nur einige zu nennen – in der Zeit vor und nach den Weltkriegen taten.
Zu nennen sind aber auch lokale Schriftsteller wie zum Beispiel Hans M. Schmidt, der Lehrer am Gelnhäuser Grimmelshausen-Gymnasium ist. Er denkt Borcherts NEIN weiter und sagt: „Jedes offene, entschiedene NEIN zu einer Sache entsteht bei mir aus einem klaren, ebenso entschiedenen JA für eine andere.“
 
In Gelnhausen befinden wir uns in der Stadt, mit der sich Reichspropagandaminister Goebbels auf der Titelseite des „Stürmer“ in einem Leitkommentar brüstete und von Gelnhausen als der ersten „judenfreien Stadt“ schrieb. Gegen alte und neue Nazis wollen wir auch deshalb an diesem Ort ein anderes Zeichen setzen.
In seinem Werk entlarvt Bertolt Brecht die ausbeuterischen Mechanismen einer industriellen Massengesellschaft. Die dialektische Auseinandersetzung mit Faschismus und Krieg wird mit Beginn der Machtergreifung des Nationalsozialismus sein dominierendes Thema, das den Einzelnen immer wieder ins Spannungsfeld der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft stellt.
Rückblickend schreibt Brecht aus Anlass des 75. Geburtstags von Heinrich Mann: „Der große Schriftsteller und Humanist Heinrich Mann betrachtete das Naziregime nicht, wie viele andere, als einen »Rückfall« in die Barbarei, sondern als einen logischen und gigantischen Vorstoß jener Barbarei, die sich, resultierend aus der deutschen Wirtschaftsform, durch das Kaiserreich und die Weimarer Republik stürmisch zu diesem Tiefpunkt hin weiter entwickelt hatte. Was jetzt auf den Nürnberger Anklagebänken sitzt, entstammt der Verbrechergalerie von Industriellen, Militärs, Beamten und politischen Abenteurern, gezeichnet in seinen großen politischen Romanen.“
 
Als die Gräuel, die Furcht und das Elend 1945 ihr äußeres Ende fanden, lebten sie in den Menschen weiter, und nicht wenige Drahtzieher aus dem Faschismus schlüpften in neuem Gewand in die bundesrepublikanische Gesellschaft. Brecht wusste, dass die Ursachen für Krieg und Faschismus mit dem Kriegsende und den Urteilen in Nürnberg nicht beseitigt waren. Er erklärte: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Und wir haben es dann erlebt, wie z.B. in Hoyerswerda, Mölln und bei den jüngsten Skandalen um die Neonazimorde des sogenannten NSU. Wieder mussten wir sehen, wie Politik, Polizei und die Geheimdienste sich auf dem rechten Auge blind zeigten.
Mit seinen Aktionen unter dem Motto „WortegegenRechts“ wendet sich der Verband deutscher Schriftsteller gegen alle Bestrebungen und Kräfte, die den inneren und äußeren Frieden in unserer Welt gefährden.

 

Unvorstellbar schien es nach den Erfahrungen zweier Weltkriege, dass in Europa erneut die Furien des Krieges herrschen würden. Doch im Herzen Europas hat der Balkankrieg grausam gezeigt, dass auch hier innerer und äußerer Friede immer noch nicht gesichert sind. Wir haben gefehlt in unseren Bemühungen, diesen Krieg zu verhindern. Auch für die deutsche Regierung wurde Krieg wieder zu einem „legitimen“ Mittel der Politik. Wir dürfen nicht schweigen, wir müssen handeln. Um es mit den Worten der Schriftstellerin Ljiljana Lalić aus Banjaluka zu sagen: “„Die Kriege-Macher zählen auf dein ängstliches Schweigen. Erteile ihnen eine hörbare Absage und du findest deinen Frieden.“
 
Der Verband deutscher Schriftsteller bekennt sich in der Tradition seiner Mitbegründer Heinrich Böll, Günther Grass, Dieter Lattmann, Ingeborg Drewitz und vieler anderer in Gelnhausen zu seiner Verantwortung für den äußeren und inneren Frieden. Vom Friedensschluss des 30jährigen Krieges bauen wir auf den Pfeilern der Friedenserklärungen und Friedensbestrebungen von Grimmelshausen bis Christa Wolf und deren Kassandra eine Brücke zu unserer heutigen Erklärung.
Als Gefangene in Mykene und den Tod vor Augen stellt die Seherin aus Troja fest: „Man hätte früh dem Übel wehren müssen, als es noch nicht >Krieg< hieß.“
In diesem Sinn fordern wir auf, für den inneren und äußeren Frieden mit Wort und Tat einzutreten.

Imre Török, Vorsitzender,
im Namen des Verbandes deutscher Schriftsteller VS
Gelnhausen, den 17. August 2012

(Bild: Gilbert G. Groud // This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Germany license.)