Man müsste Grass‘ Gedicht kritisieren … und man kann es nicht mehr tun, weil man sich, jedenfalls für den Moment, gemein machen würde, mit dieser heterogenen Meute, die ihn nun jagt.
Man würde sich gemein machen, mit denen, die nicht nur einmal mehr beweisen, dass es kein Feuilleton mehr gibt, welches diese Bezeichnung auch verdient, sondern auch mit jenen, die ihre strategischen Ziele mit der taktischen Grass-Schelte besser im Konsens der Gesellschaft verankern wollen.
- Wenn führende, noch dazu an Hochschulen lehrende, Feuilletonisten Grass, und Wolf und Walser gleich mit und damit allen, auf die ihre im großbürgerlichen Herrentum verwurzelte Schelte zutrifft, ihre kleinbürgerliche Herkunft vorwerfen und diesen Vorwurf objektiv zu nichts anderem benutzen können, als die Schuld des deutschen Großbürgertums am Erstarken des Nationalsozialismus in der Weimarer Republik und den Verbrechen des deutschen Faschismus zu relativieren, wenn also führende Köpfe der Literaturkritik die Abs’, Krupps, Stinnes, die Junker in der SS, in der obersten Heeresführung, die Schreibtischtäter in den Universitäten, die SS-Lagerärzte usw. quasi über die generationsüberdauernde Schuld des Kleinbürgers aus der Verantwortung rücken,
- wenn andere führende Köpfe der Literaturkritik einen Subtext des grass’schen Gedichtes herbeihalluzinieren und dann die eigene Halluzination als Inhalt des Werks sezieren,
- wenn stets in beleidigender Form auftretende Publizisten, denen nach meinem Gefühl die Atombombe auf Teheran heute lieber als morgen wäre, Grass als Prototypen eines gebildeten Antisemiten verspotten,
- wenn sich also all diese und anderen mehr nicht entblöden, den Wahrheitskern des Gedichtes zu verwerfen und zugleich die notwendige Kritik an der fehlenden analytischen Umfassentheit des Poems – die ja offensichtlich ist –, dazu benutzen diesen Wahrheitskern zu desavouieren, in dem man Grass nun aufgrund dieses Mangels einen Antisemiten schimpft,
dann weiß man, in welchem Staat man lebt: In einem, in dem jene, welche die Macht dazu haben, die öffentliche Meinung, dann wenn es sein muss, im Gleichschritt marschieren zu lassen.