Wir befinden uns, nicht zum ersten Mal in der Geschichte, in einer Zeit der Diadochenkämpfe. Nach dem Niedergang der Sowjetunion, nach dem ideologischen und imperialistischen Konflikt zwischen den Blöcken, ist nun die Epoche der vier streitenden Reiche und einiger regionaler Mächte, die, vorerst zumindest, ihre Region bestimmen wollen.

China, die EU, Russland und die USA müssen, bei Strafe des eigenen Untergangs, die Welt zu beherrschen trachten. Die Aufteilung jenes Teils der Länder, die nicht unmittelbar zu den Zentren gehören wird sich nicht nach Interessensphären orientieren, sondern nach dem Prinzip von Alles oder Nichts. Es geht um viel. Es geht um das Überleben als Großmacht in einem die Welt umspannenden kapitalistischen System.

Der Ton, selbst der Chinesen, verschärft sich. In vielen Ländern, auch in denen, die zu den Imperien gehören, haben Nationalisten das Ruder übernommen. Ob „America first“ oder „China first“, ob „Europe first“ oder „Russia first“. Die Ansage gilt. Und sie wird von allen gemacht. Das schafft eine kritische Situation.

Mächte wie die Türkei, die schon auf dem Weg in den Faschismus ist, die gefahrlos annektieren darf, weil sowohl Russland als auch die EU und Amerika sie brauchen, erhöhen das Gefahrenpotential. Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan schläft nur und in Indien haben Nationalisten starken Einfluss auf die Politik nach innen und außen.
Die EU, von den USA braucht man nicht zureden nach dem Angriffskriegen auf den Irak und auf Afghanistan, verspielt durch das Schweigen zu den Eroberungen der Türkei einen großen Teil des moralisch-ethischen Vermögens. Und auch wenn natürlich stimmt, dass Außenpolitik nicht moral-, sondern interessengeleitet ist, so ist nach innen selbstverständlich eine a-moralische Außenpolitik in der Regel kontraproduktiv. Auch die russische Außenpolitik ist fern von Moral und Ethik. Neben der Annexion der Krim und dem Befeuern des Konfliktes im Osten der Ukraine ist es nun der Verkauf der Kurden an die faschistoide türkische Armee und ihre islamistischen Hilfstruppen, die ein Licht auf die russisches Außenpolitik werfen, welches den Kern ausleuchtet. Russland verhält sich wie die anderen imperialistischen Zentren auch, wenn man von der – noch – verhaltenen Politik der Chinesen absieht. Aber die zunehmende Aggression im südchinesischen Meer macht deutlich, dass es auch in China keine grundsätzliche Abneigung gegen den Einsatz von Gewaltmaßnahmen gibt.

Zu dieser Gemengelage kommen Ressentiments Russlands gegenüber in den ehemaligen Ostblockstaaten, insbesondere in Teilen des Baltikums und in Polen. Zugleich beziehen sich rechtsradikale westeuropäische Parteien wie die deutsche AfD oder die Organisationen um Le Pen in Frankreich auf Russland und dort sowohl auf Dugin, als auch auf die Politik Putins. Das hat mit der Westbindung der traditionellen europäischen Regierungsparteien ebenso zu tun, wie mit einem gerüttelt Maß Antisemitismus. Nicht wenige aus diesen Kreisen glauben allen Ernstes an eine Art von jüdische Weltverschwörung und sehen in den USA den Hort allen Übels.

Die Situation entspricht damit der Lage vor dem Ersten Weltkrieg, zumindest in sehr großen Teilen. Und ich halte eine globale kriegerische Auseinandersetzung, auch an den Rändern Europas oder in Ostasien für eine real mögliche Katastrophe. Sie wird, wenn die Konfrontationspolitik so weiter geht, mit höherer Wahrscheinlichkeit geschehen, denn dass sie verhindert würde.

Aber auch wenn die europäischen Interessen andere sind als die amerikanischen (in der konkreten Politik offenbart sich das in der europäischen Militärstrategie, wie sie intensiv seit 2016/17 betrieben wird), so sind die europäischen Staaten doch Teil der NATO. Sind also Teil eines militärischen Blocks, der gegen die beiden anderen Imperien Russland und China steht. Zugleich gibt es, wie die Türkei zeigt – und ich glaube, andere Staaten werden folgen – Zerfallserscheinungen. Diese Prozesse sind dem eigenen – regionalen und überregionalen – Interessen der Beteiligten geschuldet und werden kaum aufhaltbar sein. Denn die Staaten dieser Welt orientieren sich nun mit steigender Geschwindigkeit neu. Man wird sehen, ob sich Weißrussland eng an die NATO begibt – Näherungen gibt es ja jetzt schon –, man wird sehen, ob sich die Türkei auf Russland orientiert, wenn dieses ihr die Expansion im Mittleren Osten ermöglicht. In der gegenwärtigen Situation sind auch die Bewegungen in und aus Allianzen heraus nicht vorhersehbar. Niemand kann die Anziehungskräfte Chinas im asiatischen Raum voraussagen, niemand die chinesische Strategie in Afrika, wenn die jetzige auf aggressive Konteraktionen von USA oder EU stößt.

Situationen nach dem Zerfall von Weltreichen haben immer wieder ihre Gefährlichkeit in der Geschichte bewiesen. Es scheint mir unerheblich zu sein, ob die Informationsflüsse andere sind nun, ob die politische Verfasstheit (Demokratie) eine andere ist usw. Letztlich ist die Situation identisch. Es entstehen politische Vakua, die umkämpft werden. Die Anzahl der Partikularinteressen ist dabei viel höher, als in Zeiten der großen Blöcke. Die Situation ist deshalb kaum berechenbar.

Die auf Konfrontation gerichtete Reaktion von EU und NATO-Staaten auf den Giftanschlag von Salisbury zeigt, dass Diplomatie und ruhige Aktion bereits einem Aktionismus gewichen ist, der die Lage heißer werden lässt. Zugleich zeigt die fehlende Reaktion auf die Annexion von Teilen Syriens durch die Türkei, dass jedes Bewertungsmaß die Nützlichkeit misst und nicht Moral. Denn wo vorher, zu Recht, gegen die Annexion der Krim protestiert wurde unterbleiben die damals eingesetzten Mittel von Boykott bis Einreiseverbot.

Die demokratische Linke von Feuerland bis Sibirien muss ohne Zuneigung zu dieser oder jener Seite und wissend darum, dass sich hier Staaten mit systemgleichen Interessen, das gilt auch für China, gegenüberstehen, für eine geschlossene internationale Friedensbewegung begeistern können. Sich für sie einzusetzen reicht nicht mehr aus. Sie muss Wesensmerkmal einer Linken werden, die sich nicht auf ihren Nationalstaat konzentriert, sondern angesichts der Bedrohung auf die Welt. Dazu muss es eine internationale Friedenskoordination geben, die alles daran setzen muss, Friedenaktivitäten zeitgleich zu organisieren. Dann vielleicht gelingt eine Wende innerhalb der Staaten, die allerdings den Krieg nur erschweren kann. Ihn verhindern kann nur die grundlegende Umwälzung der Verhältnisse und das Ende des Kapitalismus.

Die Vermutung, es gäbe diese Kriegsgefahr deshalb etwa nicht, weil ein Krieg für „das Kapital“, also für keinen der Akteure, nicht zu gewinnen sei, ist irrig. Nicht umsonst gibt es seit Jahren Forschungen, aber auch schon Produktionen, von kleinen, im Vernichtungs- und Verseuchungsradius stark eingeschränkten Atomwaffen, von unbemanntem Kriegsgerät, das gezielte Schläge ermöglichen soll und von Kombinationen aus Angriffsformen, auch unter Berücksichtigung von Cyberattacken.

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