Sie sind und sie waren immer Teil des Problems: Die Regierungen, die in Syrien und dem Iran regieren und jene, die in Libyen regiert hat. Mit einem kruden Antiimperialismus kommt man da nicht weiter. Ohne allerdings erst recht nicht.
Teil eines Problems zu sein, bedeutet, dass es noch andere Teile geben muss. Und natürlich gibt es diese anderen Teile, die in ihrer in die Zukunft gerichtete Wirkung wesentlich größer sind, als die Regierungen dieser Staaten. Und diese Teile heißen USA und Europa. Israel nimmt dabei eine besondere Rolle ein. Dazu später.
Die Drangsalierung der eigenen Bevölkerung, die Verfolgung nicht nur meiner Genossen, die rückständige Politik und – jedenfalls in einigen der Staaten – rigide, ja mörderische Politik sexuellen Minderheiten gegenüber, machen die, allerdings ganz unterschiedlichen, Regime zum politischen Gegner, auch für mich. Man darf im Falle Libyens allerdings nicht vergessen, dass die Sozialpolitik der Gaddafi-Diktatur einen Vorbildcharakter hatte und haben sollte – über die Region hinaus. Man muss also unterscheiden zwischen der abzulehnenden Politik den Gegner im eigenen Land gegenüber und den Versuchen, eine Politik daneben zu machen, die den Reichtum des Landes den Bürgern zugänglich macht. Diese Unterscheidung bedeutet ja nicht, dass man sich eins macht mit den Regimen.
In Libyen sehen wir als Ergebnis der externen Intervention, dass die Sozialsysteme zerfallen sind und es zu einem anhaltenden unterschwelligen Bürgerkrieg gekommen ist, der droht, jederzeit wieder in eine flächendeckende heiße Phase einzutreten. Zu dem ist durch die Intervention, sozusagen als Dominoeffekt, Mali erheblich destabilisiert worden. Sowohl die aggressive Politik der Kriegsgewinner den Tuareg gegenüber, als auch das Erstarken islamistischer Kräfte haben dazu geführt, dass nun weite Teile des afrikanischen Staates nicht mehr von der Regierung in Bamako kontrolliert werden, sondern von Islamisten, die ihr Hauptquartier in Timbuktu aufgeschlagen haben. Man hätte beides wissen können: Sowohl, dass es bei dem vermeintlichen Befreiungskampf in erheblichem Maße auch um Stammesauseinandersetzungen geht, denen der Zugriff auf die Erdölförderung zugrunde liegt, als auch, dass es zu rassistischen Problemen hinsichtlich der Tuaregs kommen würde. Man hat das in Kauf genommen. Zugleich hat die internationale Gemeinschaft (NATO, Katar, Jordanien, VAE und Sudan) klargemacht, dass sie UN-Mandate in einer nicht akzeptablen Weise auslegt. Aus der UN-Resolution 1973 wurde fälschlicher Weise das Mandat abgeleitet, die regierungstreuen Truppen auch dort anzugreifen, wo es nicht um den direkten Schutz der Bevölkerung ging. Insgesamt hat der Krieg gegen die damalige libysche Regierung und der Krieg der libyschen Regierung gegen die vom nordatlantischen Bündnis geführte Koalition mindestens 30.000 Tote gefordert.
In Syrien stehen wir vor einer ähnlichen Entwicklung. Außerdem fehlt außerhalb des Landes jedwede glaubhafte Information über die Vorgänge. Weder kann über die Kampfhandlungen etwas ausgesagt werden, noch liegen belastbare Berichte über die Verursacher von Massakern und Gräueltaten vor. Die in sich heterogene Opposition, als auch die zerfallene Zentralgewalt bezichtigen sich gegenseitig. Es gibt keinen Grund einer der beiden Seiten zu glauben. Mehr noch als in Libyen aber, geht es in Syrien um die Frage, wer als Hegemonialmacht den Mittleren Osten beherrscht. Syrien ist dem Iran in vieler Hinsicht freundschaftlich verbunden; es geht also auch um die Frage, ob es den NATO-Staaten, allen voran den USA, gelingt, den Iran in der Region zu isolieren. Dabei ist man bei der Wahl seiner Verbündeten nicht zimperlich. Ob es nun das absolutistische Regime in Saudi-Arabien ist, das ebenso absolutistische Königshaus von Bahrain, einem Land, in dem friedliche Demonstranten vor einigen Tagen zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, oder die Türkei, die sich selbst seit Jahrzehnten im Bürgerkrieg befindet: Die Hauptsache scheint zu sein, keine Verständigungslösung zwischen jene Teilen der Opposition, die nicht willens sind, Syrien zu einem Vasallenstaat werden zu lassen, und dem Assad-Regime zuzulassen. Hier geht es für „den Westen“ ums Ganze. Und das Ganze heißt Iran.
Selbstverständlich sind Vorwürfe gegen die Regierung in Teheran gerechtfertigt, insbesondere, wenn sie die Menschenrechte betreffen. Selbstverständlich muss man gegen Steinigungen von Frauen und das Henken Homosexueller protestieren. Nicht nur, was den Iran angeht, sondern natürlich auch dann, wenn solche oder ähnliche Rechtsstraftaten in Saudi-Arabien, Bahrain oder anderen, der NATO verbundenen Staaten vorkommen. Dort aber wird mit Stillschweigen über die Zustände hinweggegangen. Man spielt ein doppeltes Spiel. Und man spielt es mit gezinkten Karten.
Man mag über Ahmadinedschad und seine Partei denken, was man will, seine Wahl jedoch war eine mit Schönheitsfehlern versehene demokratische Abstimmung. Die Behauptung, es wäre zu Wahlfälschungen in großem Stil gekommen basiert auf der fälschlichen Überbewertung der städtischen Mittelschichten, die sich jedoch offenbar nicht durchsetzen konnte. Allerdings steht es um die demokratischen Rechte im Land schlecht. Das liegt sowohl an der Politik des Regierungschefs, als auch an der Politik Chameineis, also des Staatsoberhauptes, und seiner Revolutionswächter. Das muss kritisiert werden. Allerdings ohne auf das falsche Pferd zu setzen. Ahmadinedschads Herausforderer, der frühere Premierminister Mussawi hat die größte Hinrichtungswelle von Oppositionellen (1988) mitzuverantworten. Es ging auch hier dem Westen lediglich um die Unterstützung einer möglicherweise anderen Außenpolitik. Letztlich ist sowohl der NATO, als auch der Türkei egal, wie sich iranische Regierungen im Inneren verhalten.
Der Iran, ebenso wie Syrien, stehen also der USA, aber auch der EU, im Wege, wenn es um den Vorherrschaftsanspruch im Nahen Osten geht. Anzunehmen, dass Israel dabei ein Vasallenstaat oder der Brückenkopf der USA in der Region sei, ist jedoch falsch. Die Nähe israelischer Politik zur Politik von EU und USA ergibt sich zwangsläufig. Man darf dabei nicht vergessen, dass es für Israel sowohl objektiv, als auch subjektiv um das Überleben geht. Die angenommene Gefahr eines Angriffs schafft im Inneren des Staates die nötige Solidarität, um ein Auseinanderfallen Israels zu verhindern. Angesichts der wirtschaftlichen und also sozialen Probleme im Land, angesichts eines stärker werdenden fundamentalistischen Blocks, eine ernst zu nehmende Sache. Und natürlich gibt es reale Gefahren von außen. Es ist ja nicht so, dass es keine Kräfte in den arabischen Staaten geben würde, die „die Juden“ nicht gerne ins Meer treiben würden. Unter diesen neuen und alten Bedrohungslagen ist es gar nicht denkbar, dass sich Israel den Konflikten entziehen könnte. Die Friedensbewegung in Israel, allen voran Gush Shalom, hat zu den innenpolitischen Bezügen israelischer Außenpolitik immer wieder Stellung genommen und auch zu jenen Kräften, die als Pendant radikaler arabischer Kreise gelten müssen: Den Falken in Israel.
Was also ist, wenn man den imperialistischen Anspruch von USA und EU ablehnt, zu fordern? Nicht zu fordern, das ist allemal klar, ist es, dass die Regime in Damaskus und Riad, in Manama und Khartum an der Macht bleiben. Diktatoren müssen ebenso wie Scheichs und Könige weg von den Schalthebeln der Macht. Aber dann? Darf die Lösung der repressiven Politik nach innen zugleich der Türöffner für Hegemonialinteressen sein? Was man braucht, ist die Unterstützung jener Oppositionskräfte, so es sie gibt, die sich der Sache der Blockfreien verpflichtet haben. Und was man braucht, ist auch der Widerstand von Russen und Chinesen im UN-Sicherheitsrat gegen US-amerikanische Interventionen. Gäben Russland und China diesen Widerstand auf, machten sie die Tür auf für einen weltweiten Angriff der NATO auf unliebsame Staaten. Denn um das, was im Inneren geschieht, geht es diesem Militärblock nur insoweit, als wirtschaftliche und außenpolitische Interessen betroffen sind. Sonst gebe es die Anträge auf robuste Mandate gegen Saudi-Arabien und Bahrain ja schon.
Foto: The Egyptian Liberal