In Italien finden seit Jahren regelmäßig wissenschaftliche Konferenzen
statt, vor ein paar Jahren erschien die erste Übersetzung seines Werkes
ins Portugiesische und seit 2002 bemüht sich die in Leipzig ansässige
Max Stirner Gesellschaft um die Erinnerung an und fördert die Forschung
zu seinem Werk und Wirken (u.a. mit der Herausgabe eines Jahrbuches).
Mit dem Niedergang der Studentenrevolte der 60er Jahre und dem Abflauen
der Alternativbewegungen war sein Name wieder nach einer Welle der
Renaissance in Vergessenheit geraten.
Der im Zusammenhang mit seiner Philosophie gebrauchte Begriff des
„Egoismus“, der wie er auch in der Erwiderung an seine Rezensenten
erklärte, nichts mit dem umgangssprachlich, negativen konnotierten
Begriff zu verwechseln sei, hat seit jeher für viele
Fehlinterpretationen und Mißdeutungen seiner Philosophie geführt. Die
Zensurbehörde sah sich bereits kurz nach Erscheinen seines Werkes
genötigt, das Verbot wieder aufzuheben, da man von jenem Werk keine
Gefahr ausgehen sah. Die karikaturhaft anmutende Radikalität seiner
Gedankengänge, die auch einen Friedrich Nietzsche beeinflußt haben
sollen, erschienen den Zensoren als ungefährlich. Diese Ratlosigkeit,
die sich in dem Verhalten zeigte, findet sich auch in der
Rezeptionsgeschichte wieder. Die Linie derjenigen, die sich an ihm
abgearbeitet haben ist lang – sie reicht von Karl Marx bis zu Ernst
Jünger; im Gegensatz dazu bezogen sich nur wenige von ihnen positiv auf
sein Werk. Allgemein wird über eine philosophiegeschichtliche
Einordnung von ihm gestritten – läßt sich seine Philosophie noch als
radikale Position innerhalb des deutschen Idealismus verorten, oder hat
er diesen bereits überwunden? War er ein Vordenker des
Individualanarchismus, des Sozialismus, des Existentialismus, des
Poststrukturalismus oder gar des Faschismus?
Dennoch erscheint sein 1844 erschienenes Hauptwerk seit 1972 in
regelmäßigen Neuauflagen in der Reclam Universalbibliothek und hat 2005
auch noch Konkurrenz von einer billigen, um das Vorwort gekürzte
Ausgabe vom Area-Verlag erhalten. Die Reclam-Ausgabe, die in der
Literatur als Standardausgabe zitiert wird, hat nun noch eine weitere
Konkurrenz erhalten – eine längst überfällige Studienausgabe des
Werkes. Sie wurde von Bernd Kast, der bereits 1977 über die Thematik
des Eigners in Stirners Philosophie promovierte, bearbeitet und mit
zahlreichen Fußnoten ergänzt. In mühevoller Kleinstarbeit hat er die
vielen direkten und indirekten Literaturverweise und Zitate
recherchiert und in seinen ca. 500 (!) Fußnoten der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht. Dabei richtet sich seine Ausgabe aber auch explizit
an eine interessierte Laienleserschaft, wie er wiederholt betont, und
was sich auch in den umfangreichen Erläuterungen zu den von Stirner
benutzten Fremdwörtern ausdrückt. Ergänzt wird der eigentliche Text
auch noch durch den Abdruck einer 1845 veröffentlichten Stellungnahme
Stirners zu Kritiken von Zeitgenossen an seinem Werk, was bislang nur
in der 1968 von Hans G. Helms herausgegebenen Ausgabe zu finden ist.
Innerhalb dieser Erwiderung, die nur zum Verständnis seines Textes
herangezogen wird, finden sich einige Spezifizierungen und Erklärungen,
die die Interpretation seines Werkes erleichtern. Ein kurzer
Einführungstext von Bernd Kast umreißt den Entstehungshintergrund
dessen und faßt die Kritiken zusammen, auf die Stirner in der Schrift
antwortete. Abgerundet wird die Ausgabe mit einem Nachwort, indem sich
Bernd Kast der Mühe unterzieht, gängige Fehlinterpretationen und
Vorurteile gegenüber Stirner zu widerlegen.
Die vorliegende Studienausgabe ist ohne Zweifel für die weitere
Stirnerforschung von großer Relevanz. Die recherchierten Zitate und
Bezugnahmen in Stirners Werk eröffnen z.T. neue Zugänge zu seinem Werk
und lassen weitere Rückschlüsse über die von Stirner gelesenen Autoren
zu – insbesondere über seine umfangreiche Goethe-Lektüre. Diese Ausgabe
wird sicherlich bald die Reclam-Ausgabe als Standardausgabe ablösen.
Allerdings leidet unter dem Spagat zwischen „Studien-“ und
„Volksausgabe“ streckenweise die Ausgabe. Einerseits hat sich Bernd
Kast der Lesbarkeit-willen zu einer Umstellung auf neue Rechtschreibung
als auch zur Modernisierung einzelner veralteter Wortkonstruktionen
verleiten lassen. Sie bietet zudem interessierten Laien durch die
umfangreichen Anmerkungen und das Nachwort eine gute Hilfestellung zum
Verständnis des Textes.