Port_hamburg_panorama

Stadt: Das ist für mich, heute mehr noch nun als früher, etwas Besonderes, eine Form von Siedlung ganz eigener Art. Stadt ist für mich nicht definiert durch die räumliche Versammlung einer großen Zahl von Menschen, die ein Häusermeer besiedeln. Nein, das wäre nur ein Häusermeer, keine Stadt.

Stadt ist das aus sich heraus Gewachsene, ein Ort mit einer beträchtlichen Anzahl Bewohner zwar, mit einer vom Dorf unterscheidbaren Art des Hausings – man erkennt diesen Unterschied sofort – eben mehr als nur zusammengewachsene, aufsummierte Dörfer, mehr als das Kernlose, das Unzentrierte, das gar nur politisch Gewollte. Stadt ist der Körper, der, gleich des Körpers eines Menschen, gewachsen ist.

Hamburg ist Stadt und die viel kleinere Ortschaft Ochsenfurt, Würzburg ist Stadt und München, Köln und Aachen, Bonn und Stade, Buxtehude und Celle.

Und die Bewohner haben, wenn auch nicht in ihrer Gesamtheit, so doch zu einem großen Teil, eine wohlwollende, eine manchmal überbordend stadtheimatliebende Affinität zu ihrer Stadt. Sie begreifen sie als Teil ihrer, des Bewohners, der Bewohnerin, selbst.

Dieses Verhältnis des Städters zur Stadt ist international. Der Dubliner, der Hamburger, der Römer und der Lissabonner: Sie heben sie, eine lässliche Sünde, manches Mal in Höhen, die zu hoch liegen mögen. Aber sie tuns weil sie nicht anders können vor lauter und lauterer Liebe, vor Verehrung und Verklärung – und weil sie allen sagen wollen: Sieh, das ist meine Stadt, und wohin ich auch komme, sie ist das Schönste, was ich an Heimat habe. Das ist jener gute Patriotismus, der nicht vom Vaterland herrührt, sondern von der Vaterschaft, also dem Sichkümmern, der Verpflichtung fürs Wohlergehen, von der Integration aller, die sich in der Stadt befinden. Den Alteingesessenen und den Neuzugezogenen. Der Patriotismus der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg, die eigentlich Gesellschaft zur Beförderung der nützlichen Gewerbe und schönen Künste heißt, ist diese Art des Patriotismus. Auch in anderen Städten gibt es solche Gesellschaften, die sich dem Gemeinwohl und den Nutzen für alle verschrieben haben. Das nämlich ist Stadt auch: Quelle einer Luft, die frei macht.

Und so wie bei manchen Menschen die Augen, bei anderen die Stimme, die Gestik, die Muskulatur der Arme vielleicht, ein stets erinnertes Merkmal bleiben, welches ein leichtes Mehrgewicht hat, so haben auch Städte Eigenheiten, die gewichtiger sind als andere. Die Parks, die Flüsse, herausstechende Bauwerke, Gegenden besonderer Art. Und manche dieser Beschaffenheiten kommen einen an, als wären sie nicht Ding, sondern Lebewesen.

Da versteht sich der Dubliner mit dem Hamburger. Da ist die Halfpenny-Bridge der Trostbrücke gleich, da ist der Liffey wie die Elbe ein Wesen, an das man sich erinnert, wie an einen nahen Verwandten. Nicht nur ein Fluss ist der Main für den Ochsenfurter, nicht nur ein Fluss der Rhein für die Kölnerin.

Das ist Stadt: Mehr als ein Haufen Steine, wie Wolfgang Borchert über Hamburg schrieb. Größer als das Meer aus Häusern, mehr als ein Haufen Straßen, mehr als alle Kneipen, Warenhäuser, Boutiquen, Clubs und Parks.

Ein Teil des Städters ist die Stadt. Ein Teil, der nachbleibt, im Verblassen der Heimaten – sein Ort.

 

Foto: Alexander Blum