Die Arabienpolitik der NATO-Staaten führt ganz offenbar nicht zu den Ergebnissen, die der Öffentlichkeit als die gewollten dargestellt wurden. Nicht nur hat die Intervention in Libyen zu einer Entstaatlichung geführt und in der Folge dazu, dass marodierende Islamisten in einem unklaren Bündnis mit den Tuareg den Norden Malis okkupiert haben, auch die pauschale Unterstützung jedweder Opposition in Ägypten hat negative Folgen gehabt. De facto ist die Revolution gegen die pro-westliche Mubarakdiktatur abgewürgt worden, weil nun die Moslem-Brüder in Aktionseinheit mit der konservativen Salafistenfraktion die Verfassung gegen den erklärten Willen eines großen Teils der Bevölkerung formulieren. Es wird nach der Diktatur Mubaraks zu einer demokratisch verbrämten Diktatur des Religiösen kommen. Das ist ein Rückschritt.
Das Handeln von NATO und Europäischer Gemeinschaft ist in den wahren Zielsetzungen aber klar. Es geht und ging darum, zu einer Destabilisierung der arabischen Staaten zu kommen. Dabei war die angebliche Unterstützung der Opposition gegen die Diktaturen nur eine Schimäre. Letztlich ist es für die politischen Ziele des Westens völlig unerheblich ob es hinterher mehr oder weniger bürgerliche Freiheiten gibt. Darum ging es nie. Es ging immer nur darum, die Voraussetzung zu schaffen, den Iran zu schwächen. Gewollt ist es, die ganze Region so umzurühren, dass der Iran als regionales Machtzentrum an Gewicht verliert und eine auch dort perspektivisch mögliche Intervention vorbereitet werden kann.
Syrien ist dabei – sozusagen im Rahmen eines Dominoeffektes – der wichtigste Stein, der gekippt werden muss. Auch dort ist es letztlich egal, wer ihn kippt. Die syrische Opposition ist ein heterogener Block aus verschiedensten Gruppen mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen. Es ist abzusehen, dass sich die aggressivsten Kräfte durchsetzen werden, auch deshalb, weil sie von einem Netzwerk islamistischer Kreise mit Waffen versorgt werden. Es kann doch als sicher gelten, dass, sollte die Revolte siegen, wiederum islamistische Kräfte die Macht übernehmen werden. Allerdings wird eine syrische Außenpolitik dann nicht mehr möglich sein. Und darum geht es: Die Staaten aus der internationalen Politik zu nehmen.
Das allerdings ist ein Spiel mit dem Feuer. Letztendlich ist dem Westen auch Israel völlig egal, weil der Staat nicht mehr vonnöten sein wird, wenn das Ziel, den gesamten Nahen Osten zu destabilisieren erreicht ist. Dass die Islamisten zu einem notwendigen Friedensprozess beitragen werden, ist nicht anzunehmen. Vielmehr werden sich die Falken in Israel und den arabischen Staaten gegenseitig hochschaukeln und den Friedensbewegungen und -initiativen in allen beteiligten Ländern, also auch in Israel, noch schwereren Schaden zufügen, als es die Politik der beteiligten Regierungen schon bislang getan hat.
Es hat in allen Staaten, in denen die Revolutionen stattgefunden haben, auch Kräfte gegeben, welche die zum Teil erreichten sozialen Errungenschaften retten wollten. So auch in Libyen. Es war nicht das Bestreben der westlichen Mächte jene zu unterstützen, die sich gegen die Privatisierung der Ölindustrie stellten, die kostenlose Gesundheitsversorgung, kostenlose Bildung oder Kündigungsschutzrechte erhalten wollten. Entsprechend sind die Ergebnisse.
Selbstverständlich sind die Diktatoren nicht Teil der Lösung, sondern des Problems. Mit den Mitteln von Krieg und Waffenlieferungen sind die Probleme aber überhaupt nicht zu lösen. Vielmehr ist es so, dass die Folgen auch für Staaten über die Region hinaus unabsehbar sind. Man hat einen Flächenbrand entfacht und wundert sich – zumindest öffentlich – über die Flammen. Man hat Libyen zerstört und wundert sich darüber, dass es in Mali brennt – jedenfalls wundert man sich im Rahmen des Bühnenstücks, das für die Öffentlichkeit aufgeführt wird. In der kühlen politischen Realität wundert sich niemand. Es war ja absehbar.
Unterstützt worden ist das aggressive Vorgehen der NATO und der EU von einer Presseberichterstattung, die allzu gern das übernahm, was ihr von den Regierung an Futter angeboten worden ist. Wo waren im Falle Libyens die Berichte über die kostenlose Schul- und Universitätsbildung, über das ebenfalls kostenlose Gesundheitssystem, über die Kredite für Neuverheiratete, über das Wohnungsrecht, das den Bewohnern auch Eigentumsrechte an den Wohnungen zubilligte? Eine ordentliche Berichterstattung hätte nicht an Gaddafi fokussiert werden müssen, aber daran, dass das schon Erreichte nicht durch die Aktivitäten einer vermeintlich demokratischen Opposition gefährdet werden dürfte. Dann auch hätte man schnell erkennen können, dass große Teile der Opposition eben keinen demokratischen bürgerlichen Rechtsstaat wollten, sondern einen islamistischen Stammesstaat, in dem die Einnahmen des Staates an die Clans verteilt werden sollten.
Man nimmt, unter dem Deckmantel Diktaturen zu bekämpfen nicht nur die Verelendung großer Teile des Volkes in Kauf, auch in Kauf genommen wird, dass staatliche Strukturen vollständig zerschlagen werden und sich Gottesstaaten etablieren. Willkommenstes Ziel der NATO wäre, so scheint es mir, die somalische Lösung: Staaten die jeder Funktionalität beraubt sind und sich so nicht mehr als internationale Faktoren in die Nahost-Politik der NATO einmischen können. Am Ende werden mehr Oppositionelle in den Gefängnissen der arabischen Staaten sitzen als vorher und die Gewalt wird zunehmen.
Dass die Unterstützung einer als demokratisch dargestellten Opposition nichts ist, was ernst gemeint sein kann, zeigt die Politik gegenüber den brutalen Feudaldiktaturen Saudi-Arabien und Bahrein. Die erklärten Bündnispartner der NATO im Nahen Osten erfreuen sich großer Wertschätzung, was man an den unausgesetzt stattfindenden Waffenlieferungen leicht erkennen kann. Da werden mörderische Regime gestützt, weil sie sich gut einfügen in das Ziel, den Nahen Osten, insbesondere den Iran, zu schwächen. Schon allein die Politik diesen beiden Staaten gegenüber zeigt auf, dass sich bei angeblichen demokratischen Solidarität um eine Lüge handelt. Und Lügen haben kurze Beine. Über kurz oder lang wird ihnen das Blut bis zur Nase stehen.