Sacco & Vanzetti

In der Nacht vom 22. auf den 23. August 1927 wurden Nicola Sacco und Bartholomeo Vanzetti, zwei italienische Einwanderer, im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts auf dem elektrischen Stuhl exekutiert. Ihnen wurde ein Überfall auf einen Geldtransporter zur Last gelegt, bei dem zwei Menschen getötet wurden. Ein Fall von vielen – und die Angeklagten waren dazu noch einfache Leute aus dem Volk. Dennoch wurde ihr Fall zu einem Politikum – und zu einem Symbol für staatliche Ungerechtigkeit.

Die beiden Männer waren mit der Hoffnung auf ein besseres Leben von Italien in das « Land der Freiheit » gekommen. Die enttäuschten Hoffnungen in Amerika sowie die Konfrontation mit dem, sich auch explizit gegen italienische Einwanderer gerichteten Rassismus hatten sicherlich Anteil an ihrer politischen Entwicklung hin zu Anhängern des illegalistischen Anarchismus, der zu jener Zeit eine marginalisierte Strömung des Anarchismus in der italienischen Community darstellte. Sie waren Anhänger dessen, aber keine Agitatoren. Ihr Verständnis von Anarchismus war relativ oberflächlich und setzte sich laut Zeitgenossen fast lediglich aus der Rezitation von Parolen der anarchistischen Presse zusammen.

Im Rahmen der Ermittlungen nach dem Überfall wurden sie festgenommen und in einem politischen Verfahren trotz mangelnder Beweise zum Tode verurteilt. Als Migrannten und Anarchisten entsprachen sie dem Feindbild der unter « red scare »-leidenen amerikanischen Gesellschaft.

Weltweite Proteste, an denen sich namenhafte Persönlichkeiten wie der amerikanische Autor Upton Sinclair und der deutsche Journalist Kurt Tucholsky beteiligten, blieben ebenso erfolglos wie ein Gnadengesuch. Erst 50 Jahre nach der Hinrichtung wurden sie offiziell von jeglicher Schuld freigesprochen und grobe Verfahrensfehler eingeräumt.

Das Verfahren und die Hinrichtung machte die beiden, an sich unbedeutenden Italiener weltberühmt und stilisierte sie zu zu Symbolfiguren, die in Liedern besungen wurden und werden bzw. deren Leben als Stoff für einen italienisch-französischen Spielfilm – « Sacco & Vanzetti » (1971) – diente.

Nun kommt auch endlich eine, wenn auch nicht mehr ganz so neue Dokumentation von Peter Miller als Originalversion mit Untertiteln in deutschsprachige Kinos, die bereits im Jahr 2006 fertiggestellt wurde. Peter Miller hat sich in Italien und Amerika auf Spurensuche begeben. Er hat dabei u.a. Zeitgenossen der beiden Anarchisten, den bekannten amerikanischen Aktivisten Howard Zinn, Historiker*innen, Arlo Guthrie, Sohn des berühmten Folksängers, und selbst die Nichte von Sacco zu Wort kommen lassen. Sie vermitteln ein sehr lebendiges Bild der beiden Männer und ihres Falls, der bis heute für Empörung sorgt. Zur Illustration der Dokumentation werden historische und aktuelle Aufnahmen mit Spielfilmsequenzen aus der Verfilmung von Giuliano Montaldos gezeigt. Dabei verbleibt der Regisseur nicht lediglich in einer historischen Perspektive verhaftet, sondern stellt eine Verbindung zu heutigen Erscheinungsformen des Rassismus in den USA her. Obwohl die Dokumentation keine neuen Erkenntnisse präsentiert, ist es eine sehr gute und sehenswerte Dokumentation.

Die Dokumentation feiert am 20. August Premiere im Berliner Hofkino. Ab dem 24. August läuft der Film als Originalversion mit deutschen Untertiteln in diversen Programmkinos in Deutschland und der Schweiz.

Maurice Schuhmann

Sacco und Vanzetti (O.m.d.U.), USA 2006, 80 min, Regie: Peter Miller

Weitere Informationen (auf Englisch): https://www.fandor.com/films/sacco_and_vanzetti