Das Anliegen der hier publizierten Doktorarbeit von Robert Philippsberg ist es, eine von ihm ausgemachte Forschungslücke in der Politikwissenschaft zum Thema « Demokratieschutz » zu schließen. Die von ihm Forschungslücke besteht fraglos – dennoch zeigt sich, dass der Autor die bereits dazu existierende Forschungsliteratur nur unzureichend zur Kenntnis genommen hat. Er referiert zwar auf 5 Seiten (S. 25-30) den Forschungsstand, aber außer ein paar modernen Klassikern gibt dieser nicht viel her. Wichtige Grundlagentexte und Aufsätze zu dieser Thematik finden keine Beachtung.
Seine leitende Fragestellung, die eher für eine Master- als für eine Doktorarbeit geeignet erscheint, lautet: «Wie reagieren der Staat und intermediäre Organisationen im Rahmen der streitbaren Demokratie auf rechtsextreme und linksextreme Vereinigungen?» (S. 23). Er grenzt dies auf den Untersuchungszeitraum von 1990 bis 2014 ein.
Dabei untergliedert er « intermediäre Organisationen » in die Bereiche politische Parteien (konkret: CDU/CSU, SPD, FDP, Linkspartei, Grüne – die Piratenpartei wird nicht erwähnt), zivilgesellschaftliche Akteure und Medien (Überregionale Tages- und Wochenzeitungen – u.a. die « Junge Freiheit », Spiegel, Fokus). Die Medienanalyse verlief über eine Datenbankrecherche, bei der er lediglich nach Artikeln suchte, die die Organisationsnamen im Titel oder Untertitel nannten. Dies mag pragmatisch sein, aber verfälscht die Ergebnisse. Gerade Kleinparteien wie die von ihm u.a. angeführte DKP oder MLPD werden erfahrungsgemäß meist in größeren Abhandlungen thematisiert – alleine schon wegen ihrer geringen Bedeutung im politischen Geschehen.
Den Begriff « Staat » an sich unterlässt er zu definieren. Er befragt diesbezüglich einzelne Vertreter von staatlichen Einrichtungen – z.B. « Dr. Udo Baron vom Verfassungsschutz in Niedersachsen » (S. 136) oder Helmut Volk (« Vertreter der bayrischen Schulbehörde », S. 153). Die Angaben zu den befragten « Experten » sind teilweise sehr wenig aussagekräftig und ihre Auswahl bleibt das Geheimnis des Verfassers. Ähnlich verhält es sich mit den interviewten Vertretern der Zivilgesellschaft – z.B. Dr. Ralf Melzer, von dem der Leser nicht mehr erfährt und sich lediglich eine Nähe zur Friedrich Ebert Stiftung zusammenreimen kann.
Der theoretische Teil ist ebenso etwas schwach. So basiert seine Darstellung der Handlungsmaßnahmen der Parteien und der Medien im Rahmen des intermediären Demokratieschutzes jeweils lediglich auf den Annahmen eines Autoren, die von ihm kritiklos übernommen werden.
In seiner knappen Darstellung einzelner Artikel aus dem Grundgesetz, die für den Aspekt der wehrhaften Demokratie repräsentativ sind, fehlt u.a. Artikel 5. Es geht weiter auf 30 Seiten über die Entwicklung des Links- und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, was an sich schon eine Herausforderung ist und hier in einer oberflächlichen Darstellung mündet.
Der Hauptteil ist eine quantitative Auflistung, die auflistet, wie häufig sich Zeitungen, Parteien oder Akteure der Zivilgesellschaft zu den ausgesuchten extremistischen Organisationen geäußert haben. Z.B.:
« Übersicht zum Umgang der großen deutschen Parteien mit Pro Deutschland in ihren Bundestagswahlprogrammen sowie den Landtagswahlprogrammen, der nur in Bayern antretende CSU im Zeitraum von 1990 bis 2013.
- CDU: Keine Erwähnung
- SPD: Keine Erwähnung
- Bündnis 90/Die Grünen: Keine Erwähnung
- FDP: Keine Erwähnung
- Linkspartei: Keine Erwähnung
Das Ergebnis des Vergleichs macht deutlich, dass ‘Pro Deutschland’ bislang in keinem Wahlprogramm der etablierten Parteien aufgetaucht ist, was bedeutet, dass die Partei als Einzelorganisation für die etablierten Parteien keine besondere Relevanz im Wahlkampf besitzt. » (S. 224).
Zu dem gleichen Ergebnis würde der Autor kommen, wenn er die Erwähnung der SPD, CDU, CSU oder der Grünen in den Wahlprogrammen der anderen Parteien untersucht hätte. Ein Wahlprogramm ist nämlich nicht das Medium der namentlichen Auseinandersetzung mit einer anderen Partei.
Die Arbeit von Pilippsberg ist über weite Strecken eine «reine» Fleißarbeit, deren Erkenntniswert leider nur gering ist, und die streckenweise einen faden Geschmack von Ideologie hinterlässt.
Die Arbeit weist darüber hinaus leider eine Reihe von Schwächen auf. Phillipsberg thematisiert die « streitbare Demokratie » und erwähnt auch einmal Karl Mannheims Aufsatz « Diagnosis of our time », der als einer der beiden Grundlagentexte des Konzepts gilt; der zweite und wichtigerer Text in diesem Kontext ist allerdings der namensgebende Aufsatz « Militant democracy and fundamental rights » von Karl Loewenstein, der überhaupt keine Erwähnung findet. Generell ist die historische Herleitung etwas dürftig. Auch wenn sein Anliegen nicht ist, eine theoretisch-ideengeschichtliche Herleitung zu bieten, wäre zumindest eine Erwähnung in einer Fußnote relevant gewesen. Genauso wie eine nähere Bestimmung des Begriffs « streitbare Demokratie », der erstmals 1952 vom Bundesverfassungsgericht verwendet wurde.
Auch in anderen Bereichen scheint der Autor wichtige Grundlagenliteratur ignoriert oder zumindest nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Das zeigt sich einerseits in Bezug auf die Darstellung der « Revolutionären Zellen » oder auch in seiner Darstellung der bundesrepublikanischen Diskussion bezüglich der DKP. Die Zulassung und das Nicht-Verbot jener Partei hatten explizit außenpolitische Gründe, die sich aus der Annäherung der BRD an die DDR ergaben. In diesem Klima hätte das Verbot einer kommunistischen Partei in der BRD zu einer Verschlechterung der Beziehungen geführt.
Der Umgang mit dem Begriff « Extremismus » wird zwar erläutert, aber er unterlässt eine kritische Reflektion über die politische Implikation dessen. Des Weiteren nutzt er diesen als einen Sammelbegriff unter dem er sowohl Populismus (Pro-Deutschland, PDS), Radikalismus (Rote Hilfe) und Terrorismus (NSU, RZ) subsummiert.
In Bezug auf die PDS / Linkspartei hat er auch das Problem, dass er zeitweise droht den Bock zum Gärtner zu machen, wenn er im Rahmen der Analyse der Parteien das Verhältnis dieser Partei zur DKP oder anderen von ihm – konformgehend mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz – als linksextremistisch eingestuften Organisationen untersucht.
Weiterhin unterlässt der Autor bei seinem Vergleich eine Berücksichtigung des zeitlichen Kontextes. Eine Gleichsetzung der Reaktionen auf RZ und NSU ohne Berücksichtigung des zeitgeschichtlichen Kontextes droht auf einen klassischen Äpfel-Birnen-Vergleich hinauszulaufen. Aus diesem Grund sind die Schlüsse in seinem Fazit wie z.B., dass der Linksextremismus immer noch weniger Beachtung als der Rechtsextremismus erfährt auch nur bedingt als Ergebnis seiner Analysen zu verstehen.
Maurice Schuhmann
Robert Philippsberg: Demokratieschutz im Praxistext. Deutschlands Umgang mit extremen Vereinigungen, Nomos Verlag Baden-Baden 2015, (Zugl. Univ.-Dissertation, Ludwigs-Maximillians-Universität München 2015), 386 S., ISBN: 9783848727254, Preis: 69 €.