Ein Beitrag von Lutz Götze/Gabriele Pommerin-Götze
PEN-Deutschland in der Krise?
Selten zuvor waren die Medien derart beschäftigt mit dem PEN-Zentrum Deutschland wie in den vergangenen Wochen und Monaten. Wenn, in der Vergangenheit, überhaupt über die Organisation berichtet wurde, geschah das in einem eher mitleidigen Ton, gipfelnd in spöttischen Fragen à la „Gibt es den überhaupt noch?“, oder man schloss gar vom Akronym PEN (poets, essayists, novellists) auf das Verb „pennen“. Das ist nun offenbar Geschichte.
Seit der Mitgliederversammlung Mitte Mai 2022 im thüringischen Gotha überbieten sich Zeitungen, Zeitschriften und die sogenannten neuen Medien in Beschreibungen, die militärischen Scharmützeln ähneln. Da ist von „Schlachtordnungen“, „Kriegserklärungen“ und „Flankenschutz“ die Rede, werden Debatten zu „Totschlagsargumenten“ hochstilisiert.
In Gotha eskalierte der verbandsinterne Streit; es gab Abwahlanträge, Gebrüll und Chaos. Die unterlegene Partei mit dem ehemaligen Präsidenten Deniz Yücel-vom taz-Mitarbeiter zum Springer-Journalisten mutiert-gründete im Juni 2022 einen eigenen Verein: „PEN-Berlin“. Seither gibt es sogar deren drei in Deutschland, denn es existiert obendrein seit Jahrzehnten ein „Exil-PEN“, der den ehrwürdigen Titel vom PEN der 30er-Jahre unter Thomas Mann und Hermann Kesten missbräuchlich übernommen hatte, obwohl es, glücklicherweise, seit 1945 keine von der Nazi-Diktatur in das Exil vertriebenen deutschen Schriftstellerinnen und Dichter mehr gibt.
Rolle des deutschen Feuilletons
Die Berichterstattung in den einschlägigen Feuilletons geschah, von wenigen Ausnahmen abgesehen, selten einmütig: Der neue und, vermeintlich, junge Verband „PEN-Berlin“ sei kraftvoll, engagiert, reformorientiert, wolle endlich die alten Zöpfe abschneiden und alles besser machen. Der „alte“, also das PEN-Zentrum-Deutschland, hingegen sei altersschwach, beschäftige sich vor allem mit sich selbst und sei nicht mehr zeitgemäß: zu wenig divers und zu sehr von alten, weißen Männern beherrscht. Diese Einmütigkeit ist vor allem dem desaströsen Zustand der Vertreter der Feuilleton-Zunft zuzuschreiben: statt, wie früher unabdingbar, ordentlich zu recherchieren und auch die jeweils andere Seite anzuhören – getreu dem guten Grundsatz audiatur et altera pars – schlug sich das deutsche Feuilleton im Regelfall auf die Yücel-Seite und verurteilte die andere, ohne die Vorgeschichte mitsamt ihren Details zu kennen.
Eva Menasse, eine der Galionsfiguren des „weltoffenen“ Berliner PEN, formulierte es so: Es gehe jetzt um „grundsätzliche Zustimmung zum größeren Ziel und ein grundsätzliches Loslassen der eigenen Befindlichkeiten“. Und weiter: „Wir müssen etwas tun, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren… Wer nicht für uns ist, ist gegen uns…und schadet nicht nur dem Verein, sondern der ganzen Kollegenschaft“. Eine Kampfansage, getreu dem Motto: „Wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind!“
Eine Geste der „Demut“?
Das klang im März 2022, ein halbes Jahr nach der Wahl Yücels zum Präsidenten – an historischem Ort, nämlich der Frankfurter Paulskirche – noch ganz anders. Da schrieb das Yücel-Präsidium an seine Mitglieder: „Wir wenden uns heute mit einer Geste der Demut an Sie und an Euch. In letzter Zeit haben wir Fehler in der Kommunikation innerhalb des Präsidiums gemacht. Das bedauern wir sehr. Wir haben uns im Ton vergriffen, und das ist nicht der Standard, den wir selbst von uns verlangen.“
Was war passiert? Ungewollt oder, nach heutigem Kenntnisstand, bewusst gesteuert, waren Mengen von e-mails bekannt geworden, in denen Mitarbeiterinnen der Darmstädter PEN -Geschäftsstelle auf übelste und nicht zitierfähige Weise beleidigt wurden, was zu Krankmeldungen und Nervenzusammenbrüchen führte. Weiter wurden Präsidiumsmitglieder aufgefordert, „Material“ zu sammeln, um den amtierenden Generalsekretär sowie die Vizepräsidentin und Writers-in-Exile-Beauftragte zum Verzicht zu bewegen. Zwei Präsidiumsmitglieder traten daraufhin zurück; im Folgenden wurde der Justitiar, der seit Jahrzehnten pro bono für den PEN gearbeitet hatte, niedergebrüllt und aus dem Amt gejagt, ebenso der Beauftragte für den Freundes – und Fördererkreis. Kritiker wie der Journalist Volker Skierka oder die Anti-Mafia-Autorin Petra Reski wurden per Anwaltsschreiben zum Schweigen aufgefordert.
Rädelsführer all dieser unerträglichen und dem Auftrag des PEN, für die Freiheit des Wortes und die Unterstützung verfolgter Dichter und Schriftstellerinnen weltweit einzutreten, hohnsprechenden Aktivitäten: Präsident Denis Yücel, Schatzmeister Joachim Helfer und Vizepräsident Ralf Nestmeyer. Das hinderte die Gruppe freilich nicht daran, sich in Gotha als Opfer vermeintlicher Darmstädter „Flusspferde“ und „Silberrücken“ zu stilisieren, also jener alten weißen Männer, denen es nur darum ginge, ihre Posten zu sichern und jede Art von Reform zu verhindern. Als dieser Putschversuch scheiterte, griff man zu Plan B, lange zuvor vorbereitet: Gründung eines eigenen PEN, vermeintlich weltoffen im Gegensatz zum „provinziellen“ PEN-Zentrum Deutschland. „Wir sind divers und nennen es Literatur“, schrieb ein einstiger Generalsekretär im neuen Hausblatt des Vereins, der WELT. Lässt es sich noch simpler formulieren?
A propos WELT: Der Chefredakteur des Springer-Blattes, Ulf Poschardt, schrieb unmittelbar nach der Berliner Gründung triumphierend, nunmehr habe sich der PEN von seiner „linken“ Vergangenheit verabschiedet und sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Tatsache freilich ist, dass Yücel, seit seiner Wahl im Oktober 2021, seine Post über den Server des Springer-Verlages empfing. Der Verlag als der eigentliche spiritus rector und Förderer der Spaltung? Vorerst nur eine Vermutung.
Ursachen und Folgen
Da die Satzung des Springer-PEN mit jener des PEN-Zentrums Deutschland nahezu identisch ist und die erklärten Ziele ebenso, gibt es im Kern keine wesentlichen Unterschiede. Die in den neuen Verein übergewechselten Mitglieder – Eva Menasse, Thea Dorn, Julia Franck und Daniel Kehlmann seien stellvertretend genannt – hätten also ihre jetzt vollmundig bekundete Bereitschaft zum Handeln – siehe oben – seit Jahren im „alten“ PEN nutzbringend in die Tat umsetzen können. Freilich waren sie auf Mitgliederversammlungen nicht gesehen und beteiligten sich auch sonst nicht oder höchst selten an Aktionen. Sie waren zahlende Mitglieder, nichts sonst. Die Gründe für ihre Entscheidung müssen daher anderswo gesucht werden.
Drei Ursachen dürften entscheidend für die nunmehr vollzogene Spaltung sein: zum einen der unbedingte Anspruch des PEN -Präsidenten mit der kürzesten Amtszeit, Yücel also, stets im Recht und deshalb Präsident zu sein-eine für eine demokratische Gesellschaft, die auf Mehrheitsentscheidungen fußt, denkbar ungünstige Voraussetzung. Dass ihm seither, teilweise besinnungslos und gelegentlich in Sektenmanier, Dichterinnen und Schriftsteller, vor allem aber Journalisten, gefolgt sind, ist beängstigend und wohl lediglich als psychologisches Massenphänomen zu verstehen. Entsprechend spricht man in Berlin auch von Wortschaffenden statt von Dichtern und Schriftstellerinnen. Es braucht auch keine zwei Bürgen und nachweisbare literarische Werke mehr, um aufgenommen zu werden: Man habe damit den elitären Dünkel des Vereins beseitigt, ist zu hören.
Zum Zweiten scheint es Yücel und seinen Mitstreitern vor allem darum gegangen zu sein, an die opulenten Geldtöpfe der Bundesregierung für das Writers-in-Exile-Programm heranzukommen und die Mittel nach eigenem Belieben auszugeben. Dieser Versuch wäre vorerst gescheitert.
Zum Dritten schließlich spiegelt der Vorgang in nuce ein gesamtgesellschaftliches Phänomen wider. Die Bereitschaft und Fähigkeit zum Kompromiss, eine der zentralen Fundamente des demokratischen Gemeinwesens, haben dramatisch abgenommen. Unter der Fahne der Identitätsfindung grenzen sich immer neue Gruppen aus der Gesellschaft aus, gründen ihren jeweils eigenen Verein und diffamieren die Anderen, zuvor gleich oder ähnlich Gesinnten. Jean Paul Sartres falscher Satz L´enfer, ce sont les autres feiert fröhliche Urständ. Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben dieses Verhalten voller Vorurteile, Verschwörungsmythen, Mobbing und Ausgrenzungen deutlich gefördert: keine guten Aussichten für unsere demokratische Grundordnung.
Aufgaben des PEN in der Zukunft
Es ist ein schwacher Trost, dass die Auseinandersetzungen im deutschen PEN nur eine eminent kleine Minderheit im Lande interessieren. Deren wahre Probleme sind Inflation, Energieknappheit, Pandemie und der Krieg in der Ukraine.
Doch der PEN Deutschland muss seine derzeitige Auseinandersetzung für notwendige und zeitgemäße strukturelle Änderungen nutzen. Dazu gehören:
- Der Akzent muss wieder stärker auf die Pflege und Verbreitung der schönen Literatur gelegt werden, denn der PEN ist in erster Linie eine Vereinigung von Dichtern und Schriftstellerinnen: Lesungen, Diskussionen, Buchvorstellungen und andere literarische Aktivitäten sollten wieder im Mittelpunkt stehen.
- Der Verein sollte verstärkt jüngeren Kolleginnen und Kollegen geöffnet werden, die sich literarisch ausgezeichnet haben.
- Die Förderung der Stipendiatinnen und Stipendiaten im Rahmen des Writers-in-exile -Programms sollte ausgebaut, intensiviert und öffentlich dokumentiert werden. So erführe die nationale und internationale Öffentlichkeit, wie gut und sinnvoll diese Aufgabe des PEN verwirklicht wird.
- Zwischen den Stipendiaten, den PEN-Mitgliedern und den Mitgliedern des PEN-Freundeskreises sollte die Zusammenarbeit auf regionaler und nationaler Ebene verstärkt werden, etwa durch Einladungen, Begegnungen vor Ort und gemeinsame Lesungen jüngster Werke. So lernten die Stipendiaten ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen besser kennen und entdeckten gemeinsame Interessen und Schreibanlässe; andererseits erführen die Förderer, was mit ihren Geldern tagtäglich geschieht. Obendrein könnten sie als Begleiter der Stipendiaten im Alltag wirken: eine für beide Seiten lohnende und befriedigende Aufgabe!
- Vermehrt sollten Angebote an die Stipendiaten genutzt werden, die deutsche Sprache zu lernen. Es ist schlechterdings ein Unding, wenn Stipendiaten auch nach Jahresfrist die Sprache ihres Exillandes nicht oder nur unzulänglich beherrschen: Wie sollen sie sich ansonsten eigentlich in die Aufnahmegesellschaft integrieren, wie ihre Erfolge und Schwierigkeiten des Alltags in Deutschland in Sprache fassen, wenn sie eben diese nicht verstehen?
Zu hoffen bleibt, dass diese und weitere Aktivitäten die derzeit existierenden Spannungen zwischen den beiden PEN-Vereinen abbauen. Es wäre freilich auch aberwitzig, wenn die „Meister des Wortes“, wie sich Dichter und Schriftstellerinnen einst nannten, nicht wieder zu gemeinsamer Sprache und gemeinsamem Tun zurückfänden.