Zu Julian Schütts halber Lebensbeschreibung
»Max Frisch – Biographie eines Aufstiegs«
Übernommen aus: Glanz&Elend
Dass der 100. Geburtstag eines Schriftstellers Anlass für vielerlei Wind im Blätterwald des literarischen Feuilletons sein kann, ist verständlich. Dass auch die Biographen solche Gedenktage nach Möglichkeit nicht auslassen, ist sogar erfreulich. Der inzwischen fast ausschließlich an Events orientierte Kulturbetrieb wagt ja in der Regel ohne die verstärkende Wirkung solcher Jahrestage gar nichts mehr. Und die Zeiten, da Bücher aus inhaltlichen Gründen und damit unabhängig von äußerlichen Anlässen gelesen wurden, gehören wohl längst der Vergangenheit an. Ob sich der Suhrkamp Verlag allerdings mit der Publikation von „Max Frisch – Biographie eines Aufstiegs“, die aus Anlass des 100. Geburtstags des am 15. Mai 1911 geborenen Max Frisch von Julian Schütt vorgelegt worden ist, einen Gefallen getan hat, das bleibt abzuwarten.
So mancher Leser wird zumindest eine gelinde Enttäuschung verspüren, wenn er bemerkt, dass er mit Schütts Buch im besten Falle den Anfang einer Biographie in Händen hält. Und der Verlag hat sicher nicht zufällig darauf verzichtet, den Umstand, dass die jetzt vorliegende Frisch-Biographie lediglich die Jahre 1911 bis 1954 zum Gegenstand hat, bereits auf dem Titel kenntlich zu machen. Denn wer kauft schon gern eine halbe Lebensbeschreibung? Noch dazu, wenn man im Buch selbst erfährt, dass es die notwendige zweite Hälfte vermutlich niemals oder doch in absehbarer Zeit nicht geben wird.
Ich bin also etwas skeptisch an Schütts Buch herangegangen. Dies auch aus einem zweiten Grund, denn ich fand es zwar notwendig, zu Max Frisch etwas zu sagen, das über den Rahmen einer Monographie hinaus geht, aber ich hatte das Gefühl, dass der vor 20 Jahren verstorbene ‘meistgelesene Autor der Schweiz’ selbst uns vielleicht gegenwärtig doch nicht mehr allzuviel zu sagen habe. Dieser Eindruck verging dann zum Glück schnell. Zum einen deshalb, weil Julian Schütt gleich zu Beginn aufzeigt, was für ein wacher und scharfer Kritiker Max Frisch gewesen ist, Kritiker seines Landes, seiner Gegenwart, seiner Klasse und, nicht zuletzt, seiner selbst. Ein Mann, der auch und gerade von Freunden beschrieben wird als einer, „der plötzlich ein Messer in der Hand“ (ein geistiges gewissermaßen) gehabt habe, das er anderen ebenso wie auch sich selbst in die Brust stieß. Und zudem ist bei Julian Schütt von biographischer Hagiographie glücklicherweise keine Spur zu finden. „Nein”, schreibt er gegen Ende seines Prologs, „ich habe Max Frisch nicht mehr persönlich gekannt, und ich bin froh darüber.” Einem solchen Biographen kann man einen Vorschuss geben und ihm zuhören, finde ich.
Max Frisch, der unangenehm kritische Zeitgenosse also? Für Schweizer Bürger aus den Anfangsjahren des Autors – und über viel mehr berichtet Julian Schütts biographischer Auftakt leider nicht – mag das wie ein Klischee klingen. Tatsächlich lag darin aber durchaus das Frischsche Potential, darin und in der Frage nach der eigenen Identität, die ihn von allem Anfang an umtrieb.
Nimmt man es genau und versteht man die Biographie eines Autors als die Zeit seines schreibend verbrachten Lebens, so engt sich der Zeitraum, den die Schüttsche Biographie behandelt, sogar auf die knappen 22 Jahre zwischen 1932 und 1954 ein. Dies deshalb, weil Schütt mit einigem Recht das „Auf die Welt kommen“ des Autors Max Frisch auf den 29. März 1932 datiert, noch genauer, auf den Nachmittag gegen halb drei Uhr, da zu dieser Stunde Frischs Vater, der Architekt Franz Bruno Frisch starb. „Der Tod des Vaters und die Geburt des Autors Max Frisch – das gehört zusammen.“, schreibt Schütt.
Tatsächlich beginnt Max Frisch erst nach dem Tod des Vaters, der der Familie Schulden hinterließ, an denen noch lange abgezahlt werden musste, aktiv zu schreiben. Das Sterben, vermerkt Frischs Biograph salopp, sei das Beste gewesen, was der Vater für den Sohn habe tun können. So zynisch dies klingen mag, es ist nicht der Zynismus des Biographen, denn Frisch selbst erstellt Jahrzehnte später, 1971, in seinem zweiten „Tagebuch 1966 – 1971“ eine Liste der Dinge, denen er dankbar sein müsse. In dieser Reihe der „Dankbarkeiten“ führt Frisch den frühen Tod des Vaters an dritter Stelle auf. Und die Liste des „Verdrängten“, die er ebenfalls erstellt, darf Franz Bruno Frisch sogar anführen. „Es ist das Los der Väter in seinen Büchern“, schreibt Schütt, „dass ihre Kinder sie mutwillig aus den Augen verlieren, sie verdrängen oder versuchsweise gar liquidieren.“
Das alles, um schreiben zu können? Nun, vorerst in der Hauptsache journalistisch, da Max Frisch zum Lebensunterhalt der Mutter beitragen musste und das Schreiben vordringlich unter beruflicher Perspektive betrachtete. Der im Frühjahr 1932, einen Monat nach dem Tod des Vaters, entstandene Essay „Was bin ich?“, der als Schlüsselwerk des jungen Max Frisch gilt, reflektiert eben diesen durchaus unkünstlerischen Weg des Schreibens im Sinne einer möglichen bürgerlichen Existenz. Dass er gerade damit paradoxerweise recht eigentlich begonnen hatte, in die Fußstapfen des in seiner Bürgerlichkeit so sehr verachteten Vaters zu treten, nahm der junge Max Frisch damit nicht nur vorübergehend in Kauf. Ja, bis zur Verleugnung seines Schriftstellerseins sollte ihn dieser Weg schon wenig später führen. Da sind seit dem Tod des Vaters gerade mal 5 Jahre vergangen, wir schreiben 1937 und Max Frisch hat nach „Jürg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt“ (1934) eben seinen zweiten Roman veröffentlicht. „Antwort aus der Stille“ heißt das Buch, in dem er einer Entscheidung für die bürgerliche Lebensweise des Vaters das Wort redet. Betrachtet man es psychologisch, so tat er es aber eben nicht, um dem Vater nachzueifern, sondern um der von ihm verehrten Mutter nachträglich das zu erfüllen, was der Vater nicht hatte erfüllen können. Alles in allem eine klassisch ödipale Konstellation. Mag er den Vater auch zeitlebens bewusst ausgeblendet haben, den „Vaterbezirk“, wie Schütt sagt, hat er lange nicht verlassen. Und der Wechsel des Studienfaches, den er zur Zeit der Veröffentlichung des zweitens Romans vornahm, war dazu schon gar nicht geeignet. Frisch, der zuvor seit dem Herbst 1930 Germanistik im Hauptfach studiert hatte und dabei möglichst viele Kurse belegte, von denen er annehmen konnte, dass sie ihn in literarischer Hinsicht weiterbringen würden, beginnt nun ein Studium der Architektur, tut es damit dem Vater also auch beruflich gleich. Doch damit scheint es nicht genug zu sein, denn tatsächlich vernichtet er auch alle seine bisher entstandenen Schriften und lässt die Berufsbezeichnung „Schriftsteller“ aus seinem Pass entfernen. Wäre dies Frischs letztes Wort in Sachen Literatur gewesen, so wäre er wohl kaum auf uns gekommen. Zum Glück war dem nicht so, denn zwar folgte nun mit dem Studium, der späteren Anstellung im Architekturbüro eines seiner Lehrer, der Heirat mit der Architektin Gertrude von Meyenburg und der Geburt dreier Kinder ein durchaus üblicher Karriereweg auf den vorgezeichneten Pfaden des Schweizer Bürgertums, doch die Abstinenz von der Literatur währte nicht lange. Schon der ihm 1938 verliehene Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis hatte die Tür zur literarischen Welt für ihn wieder geöffnet. Und der so nachdrücklich unternommene Versuch, im Bürgerlichen heimisch zu werden, wird deshalb die seelischen Verwerfungen, aus denen Frischs Schreiben seinen Antrieb bezog nur umso dringender befördert haben.
Schaut man von heute auf die von Julian Schütt nachgezeichneten Lebenswege des Autors Max Frisch, so scheint es tatsächlich den äußeren Erfolg gebraucht zu haben, um aus ihm endlich den Autor zu machen, wie ihn dann die Leser ab Mitt
e der 50ger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kannten.
Dieser Erfolg bzw. Aufstieg, um mit dem Titel der Biographie zu sprechen, begann bereits mit dem ersten „Tagebuch 1946 – 1949“, das Suhrkamp 1950 veröffentlichte. Überdeutlich dann aber mit der 1954 erfolgten Veröffentlichung des Romans „Stiller“, der Frisch international bekannt machte. Hier beginnt dann auch gewissermaßen das neue Leben der bisher so bürgerlich eingepassten Person Max Frisch, mit Trennung von der Familie, da er nun Kunst und Familie nicht mehr für vereinbar hielt. Man muss dieser Einschätzung nicht folgen, doch wird daran deutlich, wie sehr der Max Frisch „mit dem Messer in der Hand“, an den sich die Freunde aus den späteren Jahren erinnern, einem jahrzehntelangen Anpassungsprozess abgerungen ist, aus dem sich der Autor zwar spät aber eben nicht zu spät doch noch zu befreien vermochte. Diesen Weg zeichnet die „Biographie eines Aufstiegs“ nach.
Der familiäre Hintergrund mit der biographischen Verwerfung, die der Vater und sein früher Tod für Max Frisch bedeuteten, der Anfang seines Schreibens und die Mühen des bürgerlichen Daseins als Architekt und Familienvater, von denen er sich mit dem großen Erfolg seines Romans „Stiller“ befreite.
Und damit endet dann leider auch Julian Schütts Biographie, alles andere müsste erst danach kommen. Die weiteren Bücher bis zu Frischs Tod 1991, Homo Faber, Gantenbein und Montauk etwa, die intensive und konfliktreiche Begegnung mit Ingeborg Bachmann, Frischs römischen Jahre, die Zeit in den USA und immer so weiter. Das fehlt in Julian Schütts fast 600 Seiten starken Buch und wird, wenn man seine Aussage ernst nimmt, auch in Zukunft fehlen müssen. Für eine Gesamtbiographie scheint ihm die Zeit noch nicht reif, schon allein, weil er nie die Absicht gehabt habe, eine abschließende Würdigung des Werkes zu liefern. Dann aber auch, weil die Quellenlage für eine Befassung mit dem späten Frisch noch zu uneinheitlich sei, viele Teile des Nachlasses seien auch jetzt, zwanzig Jahre nach seinem Tod, noch nicht zugänglich. So etwa der Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann.
Das ist mehr als schade, wenn auch die Lektüre dessen, was Schütt über die frühen Jahre des Autors Max Frisch zu erzählen hat, unbedingt lohnt. Als Leser kann man nur hoffen, dass der Autor auf der Grundlage seines jetzt vorliegenden Werkes den verschlungenen Pfaden der literarischen Selbstfindung, die Max Frisch Zeit seines Lebens betrieben hat, weiter folgen wird und es für die Veröffentlichung der Ergebnisse nicht wieder erst solch einen großen, runden Geburtstag braucht.
Link zu Suhrkamp
Erschienen: 14.03.2011
Gebunden, 592 Seiten
ISBN: 978-3-518-42172-7, 24,90 €