Sadismus mit und ohne Sade
Der Titel „Sadismus mit und ohne Sade“ bzw. der Auftaktsatz: „Es gibt einen Sadismus mit und ohne Sade“ (7) klingt wie eine Provokation – in mehrfacher Hinsicht. Einerseits ist der Begriff „Sadismus“ von Marquis de Sades Namen abgeleitet – und somit scheinbar untrennbar mit ihm verbunden – , andererseits ist aber das Allgemeinverständnis von dem, was „Sadismus“ ausmacht weit entfernt, von dem, was Sade in seinem Werk darstellte und unter dem Stichwort der Libertinage propagierte.
Der Zugang der deutschen Kulturwissenschaftlerin Iris Därmann zur Thematik ist ein etwas anders gearteter. Ihr Fokus ist auf das Konzept des „Slavings“ (Versklavung) gerade in den kolonialisierten inkl. der dabei verwendeten Instrumente gerichtet. Es handelt sich bei dem vorliegenden Band – „Sadismus mit und ohne Sade“ – um eine schriftliche Ausarbeitung einer von Iris Därmann im Sommersemester 2021 an der Humboldt Universität zu Berlin gehaltenen Vorlesungsreihe.
Diese Verquickung von als „Sadismus“ bezeichnete Gewaltlust und die Praxis des Kolonialismus sowie des Nationalsozialismus wird zum Gegenstand der Analyse von Därmann. Von Sade, auf den sie immer wieder akquiriert, sowie auch seinen Adepten und Rezipienten von Bataille, über Klossowski bis zu Camus, kommt die Erkenntnis der Erotisierung und Sexualisierung des Konzepts der Sklaverei. Weitere Referenzen sind aber auch Friedrich Nietzsche, in dem sie einen Befürworter der Sklaverei sieht, oder Siegmund Freud.
Über den Bezug zwischen dem Thema an sich zu Marquis de Sade schreibt sie anfangs konkret: „Donatien Alphonse Francois de Sade hat die Auspeitschung zur Szene der Gewaltlust par excellence erhoben. Sade war über die Zustände in den französischen Kolonien nicht nur gut unterrichtet. Er hat die Institution der Sklaverei und die durch den Code Noir legalisierten Gewaltregime zur Behandlung und Folter der Versklavten zudem wirkmächtig problematisiert: In manchen seiner literarischen Fiktionen und philosophischen Diskurse richtet er sie gegen die vom Sklavenhandel zehrende Grande Nation selbst.“ (8).
Sade als Referenzgröße bietet sich dabei gleich in mehrfacher Hinsicht an. Er beschreibt in seinem Werk die Verbindung von Libertinage und der Praxis der Sklaverei und darüber hinaus hat er die koloniale Literatur rezipiert und auch verarbeitet. Dabei geht es Därmann allerdings nicht um ihn als Autor sondern um eine konkrete Form der Body Politics und einen Beitrag zur postkolonialen Diskurs. Die Verbindung zeigt sich z.B. in der folgenden Aussage zu Sade: „Damit hat Sade nicht nur eine entscheidende, aber verschwiegene Triebkraft der Gewalträume der Versklavung bloßlegt, sondern auch eine antikoloniale Libertinage postuliert. Das ist Sades eigener Sadismus, genauer: Dabei handelt es sich um körperpolitisch revolutionären Sadismus mit Sade.“ (74).
Anhand von sehr drastischen Beispielen aus unterschiedlichen Quellen, die Sade an Grausamkeit in wenig nachstehen, wird diese koloniale Form der Körperpolitik dargestellt und analysiert. Darin liegt die Stärke dieser Analyse. Es ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung dessen. Für die Sade-Forschung bietet der Band auch interessante Ansätze – z.B. in Bezug auf Sades Lektüren kolonialistischer Literaturen. Der Band liefert somit eine interessante Grundlage für weitere Forschungen und antikoloniale Praxis.
Maurice Schuhmann
Iris Därmann: Sadismus mit und ohne Sade, Matthes & Seitz Berlin 2023, 350 S., ISBN: 978-3-7518-2007-3, Preis: 32 €.