Es gilt nicht zu berichten von Ronald M. Schernikau.
Es gilt zu berichten von der Tatsache, dass einer Kommunist sein kann, schwul und ein Schriftsteller, dessen Art zu schreiben wegweisend sein kann. Dass einer stehen kann in der Tradition von Brecht und Hacks und dabei nur zwanzig Jahre alt ist. Denn Zwanzig war Schernikau als er das Buch „Kleinstadtnovelle“ schrieb, dieses Buch, dass auch vom Coming Out als Schwuler in einer westdeutschen Kleinstadt handelt und sich zugleich jedem Klischee entzieht. Die Kleinstadtnovelle ist kein Kleinstadtroman, keine queere Literatur, kein Jugendwerk. Sie ist das alles zwar auch – aber eben nicht nur. Sie ist ein Buch, welches in den Kanon der deutschen Hochliteratur gehört. Sie ist alle mehr, das heißt, wie jedes Buch der Hochliteratur, in einer bestimmten Art dauerhaft, kein Zeitdokument.
Ronald M. Schernikau ist nur 31 Jahre alt geworden. Er starb 1991 an Aids. Die Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit waren Anfang der Neunziger schlechter als heute, die Mortalitätsrate lag wesentlich höher. Und manchmal wurde sie noch mit dem bösen Begriff „Schwulenkrebs“ bezeichnet. Schernikau starb als bundesdeutscher Bürger. Er hat das nicht gewollt. Noch 1990 hat er, nachdem er auf Anraten von Peter Hacks, dem großen klassischen Dichter und Dramatiker, schon ’89 in die DDR übergesiedelt war, die Staatsangehörigkeit der DDR angenommen. Er war nicht sein Wunsch, zurückvereinigt zu werden. Aber gegen geschichtliche Zeitläufe hilft der individuelle Wunsch nicht.
Mit 16 Jahren trat Schernikau 1976 in die DKP ein, Nach seinem Abitur 1980, er hatte die Kleinstadtnovelle gerade bei „Rotbuch“ herausgebracht, siedelte er nach Westberlin über und wurde Mitglied der SEW, der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, sozusagen die DKP in der selbständigen Einheit Westberlin. Und ab 1986 studierte er, zuvor Student an der FU Berlin, in Leipzig am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“. Seine Abschlußarbeit war der Roman „die tage in l“, dass im Konkret Literatur Verlag heraus kam.
Schernikau hat um die DDR gekämpft. Eindringlicher als seine Rede auf der Tagung des DDR-Schriftstellerverbandes kann ein Apell an die Einsicht, nicht wegzuwerfen, was Schmerzen verursacht für etwas, dass Verletzung bringen wird, kaum sein. „Am 9. November 1989 hat in Deutschland die Konterrevolution gesiegt. Ich glaube nicht, daß man ohne diese Erkenntnis in der Zukunft wird Bücher schreiben können.“, sagte er den versammelten Autoren und erntete Missfallen bei vielen. Recht hatte er nur bedingt. Ganz offenbar kann man auch Bücher ohne jede Erkenntnis schreiben. Aber eben keine guten, keine Literatur über die Genres hinaus, die jetzt von Mittelalter, Vampiren und Gespenstern wimmeln und in denen nichts mehr stimmt. Seine Rede ist in der Tat das Beste, was man zur Niederlage sagen konnte, nicht nur im Kontext der Literatur. Sie zeigt deutlich, dass der Schriftsteller Ronald M. Schernikau verankert war, auch mit seiner Literatur, in der marxistischen Dialektik. „Der Sieg des Feindes versetzt mich nicht in Traurigkeit, eine Niederlage ist eine Niederlage, das sind Angelegenheiten bloß eines Jahrhunderts. Was mich verblüfft, ist die vollkommene Wehrlosigkeit, mit der dem Westen Einlaß gewährt wird, das einverständige, ganz selbstverständliche Zurückweichen, die Selbstvernichtung der Kommunisten. Ich habe jeglichen Glauben verloren!, das heißt: Ich bin bereit, mich dem Westen vollkommen zu überlassen. Kaum ist Honecker gestürzt, da lösen die Universitäten den Marxismus auf, da wirbt die DEWAG für David Bowie (immerhin), da druckt die FF dabei Horoskope und die Schriftsteller gründen Beratungsstellen für ihre Leser oder gleich eine SPD. Wo haben sie ihre Geschichtsbücher gelassen? Die Kommunisten verschenken ihre Verlage, die ungarische Regierung richtet in ihrem Land einen Radiosender der CIA ein, und der Schriftstellerverband der DDR protestiert gegen die Subventionen, die er vom Staat erhält. Sie sind allesamt verrückt geworden.“ Das war so wahr, dass es natürlich auf Ablehnung stoßen musste bei den Kollegen des Schriftstellerverbandes, bei vielen zumindest. Wer hört schon, im Hochgefühl von Ku-Damm-Lichtern und Aldi-Reklamen, von Privatfernsehen und Hochglanzmagazinen die Wahrheit.
Es ist also keine schlechte Sache, mehr zu lesen, als die Erinnerungen von Schernikaus Lebensgefährten Matthias Krings „Der letzte Kommunist“ (ein gutes Buch mit einem seltsamen Titel). Auch den Autor sollte man lesen. Die Kleinstadtnovelle auf jeden Fall und die Texte zur Zeit: Königin im Dreck.
Wer mehr wissen will, dem seien auch die Seiten www.schernikau.net empfohlen. Und wer bei youtube sucht, wird ihn singend finden.